Frau an Bord (Das Kleeblatt)
widerspenstige Haarsträhne zurück und legte demonstrativ ebenfalls die zweite Hand um den Griff ihrer Reisetasche. Noch auffälliger konnte sie wohl kaum seine ausgestreckte Hand ignorieren.
Und ob ich diese billige Entschuldigung annehme, werde ich mir in einer ruhigen Minute gründlich überlegen müssen. Du ahnst ja nicht, wie furchtbar nachtragend ich sein kann. Lass dich überraschen, Alter, das wird bestimmt ein Heidenspaß.
Und ganz sicher nicht für dich.
„Ich … Es geht nicht gegen Sie persönlich.“
„Ach, tatsächlich?“, unterbrach sie ihn mit einem Ausdruck höchs ter Verwunderung.
„Wirklich nicht“, beteuerte er, etwas aus dem Takt gebracht. „Glauben Sie mir. Ich … wir haben – Wie soll ich das höflich umschreiben? – wenig gute Erfahrungen mit Weib… ähm … weiblichen Besatzungsmitgliedern gemacht. Deswegen … Sorry.“
Völlig perplex von ihrer nächsten Entdeckung riss Susanne die Au gen auf. Ein winziger, goldener Ring steckte im linken Ohr des Kapitäns. Das Schmuckstück passte so gar nicht zu seinem korrekten Erscheinungsbild, zu seinem kurzen Haarschnitt, der perfekt sitzenden Uniform und dem blütenweißen Hemd, dass Susanne einen zweiten Blick darauf werfen musste, um sich zu vergewissern, dass ihr Augenlicht sie nicht im Stich gelassen hatte. Der Ring verlieh ihm etwas Wildes, Urwüchsiges. Und es stand ihm gut.
Ein Mann der Extreme, notierte sie für sich, denn seine verbalen Ausfälle vor einigen Minuten standen in noch krasserem Gegensatz zu seinem Äußeren als dieser Ohrring.
„Nie wieder eine Frau an Bord dieses Schiffes“, hörte sie den Rest seiner Erklärung, „hat sich die Stammbesatzung damals geschworen, und damit sind wir bislang bestens gefahren. Allerdings befürchte ich, dass es für diese Fahrt schlecht aussieht mit der Erfüllung unserer … meiner, ja, es sind allein meine extravaganten Sonderwünsche. Wir werden nicht mal einen Bäcker bekommen, stellen Sie sich das vor! Ein Seemanns- oder gar Landeiersonntag ohne Kuchen zur Coffee-Time ! Das könnte Auslöser für eine Meuterei werden. Ein Schiff kann ohne Kapitän fahren, zumindest eine Weile, ohne Koch oder Bäcker jedoch … Ausgeschlossen! Ich könnte nicht mal Brötchen aus dem Tiefkühlfach auftauen. Und bei all der neuen Technik an Bord der ‚Heinrich’ geht es auch nicht ohne …“
E r hustete so unvermittelt, als hätte er sich verschluckt, und wiederholte: „Es geht heutzutage kaum noch ohne Schiffs-elek-tro-ni-ker.“ Das letzte Wort sprach er übertrieben deutlich und damit bewusst ironisch aus. Zu allem Überfluss fügte er gleich noch eine bedeutungsschwere Pause an.
Sus annes enervierten Seufzer deutete er offenbar als Eingeständnis einer Abneigung gegen Elektronik, sodass er sich genötigt sah, rasch nachzufragen: „Sie haben doch Ahnung davon, Frau Reichelt? Oder zählen Sie sich zu der guten, alten Wireless-Generation ? Das allerdings würde mich angesichts Ihres Alters wundern.“
„Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Ich bin alt genug, um Alkohol zu trinken. Außerdem kann ich mit einem umfangreichen Wissen zu schiffselektronischen Gerätesystemen und Schaltungstechnik, zu Informationsverarbeitung und Theoretischer Elektrotechnik, Verfahren der digitalen und analogen Übertragungstechnik, Signal- und Systemtheorie und obendrein zu Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik aufwarten. Von Funkbetrieb, Seerecht, Funknavigation, Meteorologie, Schiffssicherheit und diversen Sprachen ganz zu schweigen.“
Sie richtete verstohlen ihren Blick, um göttlichen Beistand ansuchend, zur Zimmerdecke und betete voller Inbrunst, sich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.
„War ja nur eine Frage.“
„Guter Versuch zwar, trotzdem null Punkte. Nun rufen Sie endlich Harry an und erklären Sie es ihm. Diese bühnenreife Vorstellung von vorhin lässt sicher eine Steigerung zu. Sie haben das Potential, ganz bestimmt. Geben Sie mir meinen Heuerschein, denn ich kann mir Besseres vorstellen, als hier Wurzeln zu schlagen.“
„Ach? Ja? Und was zum Beispiel sollte das sein?“
Sus anne schnappte nach Luft. Das selbstgefällige Lächeln des Kapitäns weckte in ihr den dringenden Wunsch, mit der Faust ein wenig kreative Zahnarztarbeit zu leisten. Oder ihm wenigstens die verteufelt blauen Augen auszukratzen.
Obwohl, w ären sie sich unter anderen Umständen begegnet … Warum nicht? Die hohe, elegante Gestalt und sein souveränes Auftreten verliehen seiner
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