Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Das wird sich herausstellen müssen.“
„So sehr ich ein verdammt langes Jahr das Wiedersehen mit Susanne herbeigesehnt habe, so wenig wusste ich, was ihr bei dem Untergang der ‚Fritz Stoltz’ widerfahren ist. Oder was mir bevorstehen würde, sollten wir uns eines Tages erneut begegnen.“
Clausing musterte seinen Freund , dessen Schmerz sich in seinen Augen spiegelte, und mitfühlend erkundigte er sich: „Steckst ziemlich tief drin, wie?“
„Tiefer geht’s bestimmt nicht.“
„Es tut mir sehr leid … für euch beide.“
„Mmmh.“
„Wie … wird es weitergehen?“
Wieder zuckte Ossi gleichmütig mit den Schultern und schaute aus dem geöffneten Bullauge, als würde er draußen auf dem Meer eine erschöpfende Antwort auf die Frage finden, die ihn die ganze Nacht über gequält und wach gehalten hatte.
„Es sieht nicht nach eine r Fortsetzung aus. An Sannis Stelle würde ich mir nie verzeihen, sie in jener Nacht im Stich gelassen zu haben.“
„Mann, Ossi “, brauste Clausing ungehalten auf. „Was soll das? Von wegen im Stich lassen! Davon kann überhaupt keine Rede sein. Du warst schwer verletzt. Halbtot, als sie dich aus dem Atlantik gefischt haben! Obwohl du mir gegenüber deinen Gesundheitszustand immer heruntergespielt hast, weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass du Freund Hein erst im letzten Moment von der Schippe gesprungen bist.“
„ Und wenn schon, wen interessiert das heute noch?“
„ Wenn sie jemals auch bloß halb so viel für dich empfunden hat wie du für sie, sollte es sie interessieren, verdammt noch mal! Erkläre es ihr, sie ist doch nicht auf den Kopf gefallen. Sie kann dir keinen Vorwurf daraus machen, dass ihr damals getrennt worden seid.“
„W as ändert das? Unser Mädchen ist gestorben, ohne dass es … Ich wäre Vater geworden, Matt‘n. Ist das nicht unglaublich? Ich, der selber nie einen hatte, ein Vater.“
„ Du wärst ein großartiger Vater gewesen und wirst es eines Tages auch sein, wart ‘s ab. Und deswegen muss sie erfahren, dass du sie nicht aus freien Stücken alleingelassen hast! Denn wenn du es ihr nicht sagst, dann werde eben ich …“
„Halt dich da raus, Matt’n. Das geht dich nichts an.“
„Ich meine doch nur …“
„Kein Wort zu Sanni! Ich hätte meine Suche nach ihr nicht aufgeben dürfen, auch nicht nachdem man mir mitgeteilt hatte, sie wolle nicht behelligt werden. Dieses eine Mal hätte ich meinen Kopf durchsetzen sollen. Ich hätte mir denken müssen, dass sie mich braucht. Vielleicht das einzige Mal in ihrem Leben.“
Er machte eine Pause und strich sich mit den Fingern über das glatt rasierte Kinn. Dann hob er fragend die Hände und die Augenbrauen. „Solltest du nicht längst auf der Brücke sein?“, erkundigte er sich plötzlich ungeduldig.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte der Kapitän seinen Koch, der unauffällig seine Finger an die Schläfen presste und tat, als würde er sich noch immer seine Haare trocknen.
„Du bist grau geworden, Ossi.“
„Ach ja? Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Aber schließlich bin ich ein halbes Jahr älter als du.“ Er schaute zu seinem Freund auf und lachte freudlos. „Zumindest sind wir immer davon ausgegangen. Außerdem hast du mir heute noch keine Gelegenheit für einen Blick in den Spiegel gegönnt.“
Mit einem Mal verschwammen die Konturen des Zimmers vor seinen Augen, alles um ihn herum waberte in einem eigenartig grauen Nebel. Er holte keuchend Luft. Für einen kurzen Moment schloss er die Lider und biss die Kiefer verkrampft aufeinander. Übelkeit stieg seine Kehle hoch.
„Was hast du?“ Besorgt trat Clausing eine n Schritt auf seinen Freund zu.
D er hob mit einer kraftlosen Bewegung seine Hände vor den Körper, als müsste er einen Angriff abwehren. „Nicht. Nichts weiter. Du solltest jetzt besser gehen.“
„ Hast du gestern …“
Ossi ließ erschöpft die Hände sinken und schüttelte schwach den Kopf. Selbst bei dieser winzigen Bewegung schoss ihm ein stechender Schmerz in die Augenhöhlen, der ihn fast blendete. „Was? Was habe ich? Das ist … ich habe … Kopfschmerzen, sonst nichts. Ich … ich brauche …“
Er hielt inne und spürte, wie allmählich sogar seine Zunge außer Kontrolle geriet. Sein Gesichtsfeld engte sich immer weiter ein. Unsicheren Schrittes wankte er auf die Backskiste zu, als hätte er völlig seinen Gleichgewichtssinn verloren, und hob den Deckel an. Aus der Bank unter dem Bulleye kramte er ein Tablettenröhrchen
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