Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Matt’n.“
Und da erkannte der Kapitän mit schmerzlicher Klarheit, dass er sich wie ein selbstsüchtiger Schweinehund aufführte, obwohl er die Wahrheit längst herausgefunden hatte.
„Ich sehe, dass du das tust “, entgegnete er kleinlaut. „Aber deswegen musst du dich nicht wie ein Drache aufführen, der seine Jungfrau beschützen will.“
Mit einer fast verächtlichen Bewegung stieß Ossi den Kapitän von sich, als hätte er Angst, sich an dessen Uniformjacke schmutzig zu machen.
„Ja, Susanne und ich hatten eine Beziehung. Sie war … sie erwartete ein Kind. Von mir. Und noch bevor sie es mir erzählen konnte, sind wir mit der ‚Fritz Stoltz’ abgesoffen. Wir haben uns im Streit getrennt, das mit Abstand Dümmste, was zwei Menschen tun können, die etwas füreinander empfinden.“
Er s enkte die Lider, mühte sich vergeblich, den sengenden Schmerz in seinem Herz zu ignorieren. „Interessiert dich, dass sie im fünften Monat eine Fehlgeburt hatte? Nur, damit du eine Vorstellung davon bekommst, was das bedeutet: Zu diesem Zeitpunkt war unser Mädchen fast dreißig Zentimeter groß. Sie konnte bereits Suses Stimme erkennen und ihre Lieder im Gedächtnis speichern, Grimassen schneiden und schreien, sie hatte Fingernägel und nuckelte am Daumen. Unserer Tochter haben höchstens vier Wochen gefehlt, verdammte, lumpige vier Wochen, dann hätte sie es schaffen können! Dann wären … auch ihre Lungen so weit entwickelt …“
Er fühlte das Brennen der Tränen in seinen Augen und schluckte schwer. „Sie hätte eine reelle Chance gehabt. Und ich habe nichts von all dem geahnt, sondern Susanne allein mit ihrem Schmerz und ihrer Trauer gelassen.“
Mit gedämpfter Stimme, die jetzt eiskalt und tödlich klang, sprach er schließlich weiter: „Ich komme mir wie der Mörder dieses Babys vor, weil ich nicht bei ihnen war. Nicht, als wir in jener Nacht untergegangen sind und sich Suse ein Bein und die Schulter gebrochen hat, und auch nicht, als das Baby … Ich habe es vorhin erst erfahren. Und dass sie mir nicht verziehen hat. Wie sollte sie mir auch so etwas verzeihen können? Ein für alle Mal, rede nie wieder darüber, Matt’n, sonst … sonst garantiere ich für nichts“, sagte er gefährlich leise. „Ich will nicht, dass zwischen uns Worte gewechselt werden, die wir nicht mehr zurücknehmen können. Ich habe dir mein Wort gegeben, keinen Ärger zu machen. Provoziere es nicht.“
Ossi machte auf der Stelle kehrt und stürmte zur Tür hinaus, die krachend hinter ihm ins Schloss fiel.
B ei den Worten seines Freundes war Matthias Clausing leichenblass geworden. Starr vor Schreck stand er noch Minuten später reglos und wagte kaum zu atmen.
„Oh Gott, verzeih, Ossi“, flüsterte er. „Es tut mir so leid.“
Er hatte nicht geahnt, wie sehr er ihn mit seinen unbedacht geäußerten Sticheleien verletzen würde. Er war sich dabei sogar ungeheuer witzig und clever vorgekommen! Jetzt wusste er, dass sein Freund Susanne Reichelt wahrhaftig liebte, denn er war bereit gewesen, die Erinnerung an seine Beziehung zur Funkerin mit Fäusten zu verteidigen ohne Rücksicht auf die Freundschaft, die zwischen ihnen bestand. Nie zuvor hatte er diesen tödlichen Zorn in Ossis Augen gesehen. Niemals würde ihm jemand widersprechen, wenn er sich selbst als einen unsensiblen Idioten bezeichnete.
Mit hängenden Schultern sch lich Matthias Clausing aus der Kammer.
Seit Jahren nannte er Ossi seinen besten Freund . Seinen einzigen Freund. Dessen ungeachtet hatte er ihm gewissenlos das Messer in eine offene Wunde gestoßen und hämisch grinsend umgedreht. Was für ein aufgeblasener Hornochse war er, der sich einbildete, Ossi wie sich selbst zu kennen? Was wusste er denn tatsächlich von ihm? Immer wieder führte ihm Ossi vor Augen, wie ahnungslos er im Grunde war.
Er fühlte sich elend wie lange nicht und verbrachte eine weitere schlaflose Nacht, in der er einmal mehr den Flottenbereichsleiter Harry Pohl verfluchte. Ihm verdankte er schließlich, dass nicht bloß Ossi, sondern ebenfalls Susanne Reichelt auf seinem Schiff angeheuert hatte, diese wunderhübsche, kleine Funkerin, nach der sich sämtliche Männer umdrehten. Und die auch ihn vom ersten Augenblick an verzaubert hatte mit ihrem unwiderstehlichen Charme und ihrer herzlichen Natürlichkeit.
Am folgenden Morgen stand der stolze Kapitän der „Heinrich“ einige Minuten unschlüssig vor der Kammer seines Kochs. Er hatte in der Nacht stundenlang mit sich selbst
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