Frau an Bord (Das Kleeblatt)
misstrauisch an. Gestern war weder Bord- noch Spieleabend, kein Kino oder sonst eine Tagung, von der er etwas wusste. Das konnte bloß bedeuten …
Er wischte den Gedanken mit einer resoluten Handbewegung beiseite. Ossi hatte ihm versichert, die Sache mit Susanne Reichelt sei beendet. Warum sollte er ihn belügen?
Aber Ossi hatte ge logen! Und war ihm nicht aufgefallen, dass die Funkerin seit ein paar Tagen gleichfalls bemüht war, ihrem Kapitän aus dem Weg zu gehen? Er ahnte den Grund für ihre Befangenheit, wenn sie gemeinsam zum Essen an einem Tisch saßen. Nein, es war mehr als eine Ahnung, er war davon überzeugt, die Ursache für ihre Zurückhaltung in der Anwesenheit seines Freundes suchen zu müssen. Waren die beiden etwa entgegen aller Beteuerungen wieder ein Paar?
Clausing spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Fragend drehte er seine Handfläche nach oben und schaute Ossi abwartend an. Doch der schwieg beharrlich.
„Sobald wir zu Hause sind, wirst du dir einen Termin beim Hafenarzt für einen gründlichen Check holen“, befahl er mit der Autorität eines Mannes, der es gewohnt war, dass man ihm widerspruchslos gehorchte. „Nächste Woche. Ruf vorher bei ihm an. Frau Reichelt wird dir die Telefonnummer geben.“
„Dieser Quacksalber kann mi r nicht helfen“, brummelte Ossi genervt von dem ständigen, besorgten Drängen des Freundes. „Was denkst du denn, wo ich mich seit einem Jahr während der Hafenliegezeiten rumdrücke?“
„ Du gehst …“
Eben noch hatte er ihn zu einem Arztbesuch gedrängt, doch dass Ossi derart schnell klein beigab, erschreckte Clausing. Sein Freund hatte jahrelang keinen Arzt benötigt!
„Du solltest dir einen Spezialisten suchen, sonst wirst du deine Seetauglichkeit verlieren, wenn du deine Beschwerden nicht in den Griff bekommst.“
„Ich weiß. Und deswegen rate ich dir dringend , dich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten. Das geht einzig und allein mich an.“
„Zur Hölle, Ossi , nein! Es betrifft genauso mich!“, ballerte Clausing unbeherrscht und beinahe krank vor Sorge zurück. „Zählt denn meine Meinung überhaupt nicht? Wir haben früher alles voneinander gewusst und mehr als bloß die angenehmen Seiten des Lebens geteilt. Was ist in dich gefahren, dass du mich mit einem Mal ausschließt? Ich bin dein Freund!“
Erregt war er aufgesprungen und lief wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Mit seinen langen Fingern fuhr er sich durch die Haare, ratlos, ärgerlich, enttäuscht.
„ Is mise d’anam chara! “, wiederholte er mit Nachdruck.
„Matt’ n.“ Mit einer ruhigen Geste legte Ossi dem Kapitän die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. Sie sahen sich fest in die Augen, in denen nicht die Spur von Nachgiebigkeit zu erkennen war. Sie beide machten ihrer Herkunft wahrlich alle Ehre.
„Nein, Matt’ n, hier an Bord bist du mein Vorgesetzter. Nichts sonst. Waren das nicht deine eigenen Worte? Das Privatleben deiner Besatzung zählt nicht. Also darf auch unsere Freundschaft nicht ins Gewicht fallen, solange ich unter deinem Kommando fahre. Als Kapitän kannst du es dir nicht erlauben, Unterschiede zwischen deinen Besatzungsmitgliedern zu machen.“
„ Das war doch nichts als dummes Gerede. Als Kapitän kann ich mir jedes Recht herausnehmen. Und deine Freundschaft ist und bleibt nun mal das Wichtigste für mich, denn du bist das Beste, was mir je widerfahren ist.“
„ Ach, hör schon auf“, wiegelte Ossi peinlich berührt ab.
Als Matt’n trotzig schwieg, fügte er grinsend hinzu: „Interessiert dich, dass ich unter keinen Umständen auf dem Kahn meines besten Freundes fahren wollte?“
„Ich weiß. Und es tut mir leid, dass du offenbar noch immer diesen Standpunkt vertrittst.“ Das Bedauern in Clausings Stimme war so deutlich herauszuhören, dass Ossi zusammenzuckte. Wie sehr er ihn mit dieser Haltung verletzt haben musste, war ihm bislang nicht klargewesen.
„ Harry musste es mir natürlich gleich brühwarm unter die Nase reiben. Wie ich dich kenne, hast du dich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, hier aufzusteigen.“
Ossis Augenbrauen zuckten vielsagend in die Höhe. „Nicht gut genug. Womit hast du ihm dieses Mal gedroht, dass er meine Ablehnung nicht hingenommen hat?“
„ Ich akzeptiere deinen Widerwillen, mich zum Vorgesetzten zu haben, obwohl ich es nicht verstehe, aber bei der gegenwärtigen Personalsituation in der Reederei hatte ich genauso wenig eine Wahl wie du. Fähige Leute sind Mangelware. Hätte ich
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