Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Adrians Miene vor sich ging.
Weiße Rosen! Ihm stockte der Atem , während sich seine Gedanken durch einen dicken Nebel arbeiteten, bis er alles klar vor sich sah. Urplötzlich war sie da, die Erinnerung an ein ähnliches Bild, nach der er ein Jahr lang verzweifelt gesucht hatte. Susanne hatte mit einem Kranz aus weißen Rosen an Deck gestanden. An ihrem ersten Tag an Bord der „Fritz Stoltz“. Vor ihrer ersten Begegnung.
Aber da war noch mehr gewesen.
„Du hast das schon einmal getan“, murmelte er.
„Was getan?“
„Weiße Rosen mit an Bord genommen.“
Übe rrascht blickte Suse auf. „Ja.“ Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Dass du das mitbekommen hast … Es ist schon eine Ewigkeit her.“
„Ist mir gerade eingefallen.“
„Die sind für eine Freundin. Für die Heimreise. Ich hoffe, sie halten sich so lange. Wir haben Cat in der Ostsee bestattet. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her.“
G anz deutlich hatte sie den alten Segler vor Augen, mit dem sie damals hinaus zum Bredgrund in der Flensburger Förde gefahren waren und die Haare in ihrem Nacken sträubten sich.
„Was ist passiert?“
„Es war in dem Sommer nach dem Studium, als wir mit Mehlis Zeesenboot einen Törn auf der Ostsee machen wollten. Doch statt zu einer Urlaubsreise haben wir uns getroffen, um Cat auf ihrer letzten Fahrt zu begleiten. Meine Freundinnen Karo und Beate und ich. Mehli und Answer, unsere beiden Fischer, hatten sich in Schale geworfen und trugen Uniform, richtig schmucke Kerle in schneeweißen Uniformen. Cat hätte das so sehr gefallen. Das Makabere daran ist nämlich, dass sie die Jungs vier Jahre lang vergebens zu überreden versuchte, sich ein einziges Mal in all ihrer Pracht zu zeigen. Angel und Danilo, die Freunde von Karo und Cat, waren ebenfalls dabei. Die beiden sind zwar keine Seefahrer, machten aber eine mindestens ebenso gute Figur.“
Sein Herz hämmerte rasend schnell und er hatte das Gefühl, aufschreien zu müssen. Das war es gewesen! Das fehlende Puzzleteil!
„Angel? Ich … ich kannte einen Angel. Er war Arzt.“
„Angel ist Arzt. Genau wie Danilo.“
„Stojanow?“, brachte er mühsam unter Aufbietung all seiner Kräfte heraus in der Hoffnung, mit seiner Frage nicht Suses Aufmerksamkeit zu wecken. „Ist sein Name zufällig Angel Stojanow?“
„Mmmh, gut möglich. Es war irgendwas Fremdländisches.“
„Bulgarisch.“
„Das weiß niemand so genau. Ich glaube, sie waren beide Waisenkinder. Angel und Danilo. Ausgesetzt. Oder verloren gegangen. Etwas in der Art.“
„Wie ist sie gestorben? Cat.“
„ Sie hatte einen Unfall. Ihr Auto hat aus irgendeinem Grund mitten in der Stadt Feuer gefangen und ist ausgebrannt. Wohl ein technischer Defekt.“
Weder ein technischer Defekt noch ein Unfall! Alle Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen und seine Hände zitterten. Es gab keine Unfälle, wenn Angel in der Nähe war. Verdammt! Er hatte Suse vor einem Jahr Angels Namen sagen hören, er dagegen, verliebter Narr, hatte es einfach verdrängt! Denn es ging ihn nichts an, was die Funkerin auf dem Deck getan hatte. All seine Aufmerksamkeit hatte er allein auf sie gerichtet und nicht darauf geachtet, wovon sie sprach. Er hätte mit Frithjof darüber reden müssen! Er vergaß nie etwas! Weshalb ausgerechnet das?
„Es tut mir l eid, was mit deiner Freundin passiert ist.“
Schweigend liefen sie in weitem Bogen um den Fischerort. Ungeachtet der bereits spürbaren Herbstkälte ließen sie sich auf einer Bank vor einer gelbblühenden Stechginsterhecke nieder. Adrians Blick schweifte über die langgestreckten Hügel und die sattgrünen Wiesen mit den niedrigen Steinmauern und Hecken, die sich wie ein Flickenteppich vor ihnen ausbreiteten. Mit gerunzelter Stirn bemerkte er, dass die See rauer ging als noch vor wenigen Stunden. Lediglich sporadisch schaffte es die Sonne, sich ihren Weg durch die tief hängenden Wolken zu bahnen. Er streckte seine Arme auf der Rückenlehne der Bank aus und atmete tief durch.
„Wie herrlich ruhig es hier draußen ist. Ich könnte stundenlang so sitzen.“
„Pah, was findest du bloß daran? Ist doch öde und sterbenslangweilig“, schimpfte Suse und nestelte an einem Schuhband.
„ Hier riecht die Luft noch … nach Luft.“
„ Glaube mir, das hat Luft nun mal so an sich.“
„N ach purer Natur. Unschuldig, rein. Sie schmeckt nach Salz und Fisch. Sie duftet nach Glück und Freiheit. Ich bin sicher, wenn du ausnahmsweise ganz ruhig bist, kannst du sogar den
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