Frau an Bord (Das Kleeblatt)
würde an diesem Abend auf jeden Fall die Presse mitschreiben. Endlich! Endlich durfte sie eine der Aufgaben übernehmen, die eines Funkoffiziers würdig waren.
Aber sicher , Herr Nienberg, genießen Sie getrost Ihre Feierabendkiste. Die anderen wachfreien Offiziere warten bestimmt schon im Clubraum auf Sie. Ach was, es macht mir wirklich nichts aus, am Abend noch einmal in das Funkschapp zu gehen. Im Gegenteil, es wäre mir ein echtes Vergnügen, Ihnen etwas Arbeit abzunehmen. Na, das bisschen Presse, ich bitte Sie, Herr Nienberg, das ist doch nicht der Rede wert.
Kruzitürken! Und jetzt vermasselte sie alles! Wie peinlich! Was für eine Blamage! Sie würde sich nie verzeihen können, so leichtsinnig die Chance vertan zu haben, endlich vor Nienberg zu glänzen. Und nicht bloß vor ihm.
Normalerweise kamen die News über Fernschreiber an Bord der Schiffe. Das vorsintflutliche Ungetüm auf der „Fritz Stoltz“ indes hatte kurz vor Rotterdam seinen Geist aufgegeben, was Nienberg absolut ungerührt zur Kenntnis genommen hatte. Bislang war er jedenfalls nicht in der Stimmung gewesen, sich an die Reparatur zu machen. Wahrscheinlich ging er davon aus, es würde eh niemandem auffallen, wenn die Schiffspresse einige Tage nicht in der Messe ausgelegt wurde.
Suse dagegen wusste es besser. Obwohl es die Nachrichten vom Vortag waren, fanden sich stets erstaunlich viele dankbare Abnehmer für die drei oder vier, mit den Sportberichten und Fußballergebnissen vom Wochenende sogar fünf Seiten. Die tödliche Langeweile, die nach Arbeitsschluss an Bord mitunter auszubrechen drohte, trieb manches Besatzungsmitglied aus purer Verzweiflung zum Lesen, sodass Suse mit Leichtigkeit ein Dutzend Besatzungsmitglieder hätte aufzählen können, die begierig auf die Nachrichten aus heimatlichen Gefilden warteten.
Sie hatte sogar von Witzbolden unter den Funkoffizieren gehört, die ihrer Kreativität freien Lauf ließen und die Schiffspresse nach eigenem Gutdünken auflockerten, indem sie zusätzliche Artikel oder kreative Wochenendbeilagen produzierten, die unter die offiziellen Seiten der Reederei geschmuggelt wurden. So gab es Beiträge zu lesen, die sich mit dem Verhalten von Transistoren in der Schwerelosigkeit beschäftigten, die Explosion eines Soßentanks in der Kombüse analysierten oder der Frage nachgingen, ob Veganerinnen ihre Babys stillen. Vielleicht sollte sie bei Gelegenheit Hans Nienberg ein paar diskussionswürdige Themen vorschlagen.
Neunzig Sekunden blieben ihr noch, um die drei Decks nach oben ins Funkschapp zu sprinten! Das war zu schaffen. Sie musste lediglich darauf verzichten, sich den Schlafsand aus den Augen zu waschen und die Haare zu kämmen. Fiel sicher nicht auf. Und ihre Schuhe hatte sie ohnehin nie gemocht. Wozu diese Latschen irgendwo unter der Back suchen, dabei vielleicht eine der schreckhaften Kakerlaken aufwecken und sich mit ihr um die Besitzrechte an ihrem Schuh duellieren?
Der Schlüssel! Du lieber Himmel, wo hatte Hans den Schlüssel für den Funkraum deponiert?
Mit fest zusammengekniffenen Augen stand Suse auf dem Gang vor ihrer Kammer und überlegte angestrengt.
Der Schlüssel , denk nach! Hatte Hans ihr den Schlüssel für das Schapp gegeben? Bestimmt. Aber wo war er? Bitte, melde dich! Beim Abendessen saß Hans an ihrer Back. Und der Schlüssel lag … Wo?!
Hatte sie ihn nach dem Essen nicht in ihre Hosentasche gesteckt? Herrjeh, warum musste sie sich ausgerechnet heute in die engste ihrer engen Jeans zwängen!
Atemlos riss sie das Schott zum Funkraum auf. Ihr Blick flog zur Borduhr mit den farblich abgesetzten Markierungen auf dem Zifferblatt. Die dunklen Sektoren von 15 bis 18 und 45 bis 48 mahnten die Zeiten der absoluten Funkstille an, während denen auf sämtlichen Weltmeeren die internationalen Seenotfrequenzen abgehört wurden. Eine Viertelminute noch Zeit!
Sie stieß die angehaltene Luft aus. Wer sagt’s denn! Ist doch alles kein Problem. Jetzt noch den Empfänger anstellen. Welches Band war es gleich noch mal? Frequenz 8436 … 8436 … Und was weiter? Giga- oder Kilohertz? So groß war die Auswahl nicht! Suse hätte schreien können. Der Schweiß lief ihr in die Augen und brannte höllisch. Oder vielleicht … Megahertz? Okay, mal sehen, ob es klappt. Verflixt, es muss einfach klappen!
Hastig setzte sie sich die Kopfhörer auf und ange lte gleichzeitig mit einem Fuß nach dem viel zu hohen Drehstuhl, während sie mit flatternden Händen einen Bogen Papier in die
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