Frau an Bord (Das Kleeblatt)
blindes Trampeltier?“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sie das rechte Knie bis an die Brust und rieb ihren großen Zeh, wobei sie den Mann grimmig anfunkelte.
„ Ja, was haben wir denn da Schönes zu so später Stunde? Fünf nach Zwölf und unser Aschenputtel sucht seinen goldenen Schuh?“
I hre Wangen überzogen sich mit feiner Röte. „In meiner unendlichen Güte werde ich diese Beleidigung sofort vergessen“, knurrte sie gereizt, „und dafür sollten Sie mir ewig dankbar sein.“
Unauffällig s chaute sie an sich hinab. Ihr Aufzug ließ in der Tat mehr auf ein Bin-grad-aus-dem-Bett-gefallen schließen als auf einen Ballabend. Gleichzeitig kam ihr jedoch ein anderer Gedanke. Jetzt oder nie! Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte.
„ Noch immer kein Feierabend für unsere kleine Funkerin?“, erkundigte sich Jons Linke und deutete mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen auf die losen Blätter in ihrer Hand. „Mmmh, fleißig-fleißig wie die Bienchen. So haben wir das gern. Stets im Dienst der Allgemeinheit auf Achse.“
Offenbar gehörte er nicht zu dem Dutzend begeisterter Fans, welches auf ihre Nachrichten vom Festland scharf war.
„Sie gleich ebenfalls, Second“, flötete Suse mit ihrem süßesten Lächeln. Sicherheitshalber klapperte sie noch ein paar Mal albern mit den Augendeckeln. „Können Sie zwei winzige Minuten Ihrer kostbaren Zeit für das arme Aschenputtel entbehren? Oooh piiiteee.“
„Aber klar doch, für Sie nehme ich mir alle Zeit dieser Welt“, erwiderte der Second Mate anzüglich und trat einen Schritt weiter auf sie zu. Seine Augen blitzten dämonisch. „Soll ich Ihnen beim Suchen behilflich sein?“
Sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht , eine abstoßende Wolke aus Alkohol und Zigarrenrauch. Mit Gewalt musste sie sich zurückhalten, um sich vor Ekel nicht die Nase zuzuhalten, und wendete unauffällig den Kopf ab.
„Ich brauche etwas von Ihnen. Aus der Krankenstation, meine ich.“
„ Sicher. Sie können von mir haben, was immer Sie wollen. Wo und wann immer Sie es wünschen. Kommen Sie, ich habe den Schlüssel dabei. Nur für den Fall der Fälle. Als Mann sollte man jederzeit auf alles vorbereitet sein.“
„Ich hatte nichts anderes von Ihnen erwartet, Second“, bemerkte Suse grantig. „Das werde ich ganz bestimmt lobend in meinen Memoiren erwähnen.“
M it einer unangebracht vertraulichen Geste legte er den Arm um ihre Schultern und schob sie wie eine Kriegsbeute vor sich her zum Ende des Ganges. Wenngleich sie um die Notwendigkeit eines Besuches in der Krankenstation wusste, bereute sie schon jetzt, ausgerechnet den Second um diesen Gefallen bitten zu müssen. Botho hatte Recht gehabt, er war ein Fiesling.
Der Offizier pfiff vergnügt vor sich hin, als er die Tür aufschloss. Abgestandene Luft schlug ihnen wie eine Faust aus dem finsteren Raum entgegen. Es hatte kaum besser gerochen, als das Krankenzimmer noch vor kurzem mit Ronny belegt war. Was er wohl sagen würde, könnte er sie jetzt hier so sehen?
Suse rümpfte die Nase und bemerkte das widerwärtige Grinsen des Second. Sorgfältig schloss er das Schott hinter sich und drehte sich langsam um. Mit einer affektierten Geste strich er sich eine schwarze Locke aus dem hübschen Gesicht, seine Augen indes funkelten eiskalt, als er sich in dem engen Raum dichter an sie drängte.
„ Also, was kann ich für Sie tun, kleines Fräulein?“, hauchte ihr der Second ins Ohr. „Kopfschmerztabletten? Etwas gegen Seekrankheit? Oder eine Massage für den verspannten Nacken?“ Jons Linke hob viel sagend die Augenbrauen. „Ein Verhütungsmittel?“
Bingo! Wenn es nicht sie selbst betroffen hätte, wäre sie vermutlich in einen Lachkrampf ausgebrochen.
„Ich kann Ihnen geben, was Ihr Herz begehrt.“
„ Darauf verzichte ich gerne.“
Instinktiv hob sie einen Arm, um zumindest einen kleinen Abstand zwischen sich und dem Second zu erzwingen. Sie zupfte sich unschlüssig an der Nasenspitze und hielt den Mann mit ihrem Ellbogen auf Distanz.
„Da fällt mir ein, dass wir die Gelegenheit gleich nutzen sollten, um die überfällige Aufsteigerflasche zu leeren. Der Zeitpunkt wäre günstig.“
„Tut mir l eid, in dieser Frage kann ich mich Ihrer geschätzten Meinung nicht anschließen. Ich erinnere mich an keine …“
„Selbstverständlich eines der ungeschriebenen Gesetze an Bord.“ Er schob sie noch weiter an die Wand und versperrte ihr damit den Weg zur Tür. „Wie einige andere auch“, schnaufte
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