Frau an Bord (Das Kleeblatt)
versucht haben. Fast wäre ihr das genau so herausgerutscht und Suse erstickte fast an ihren Worten. Bravo! Sie verdrehte entsetzt die Augen, als sie sich die Reaktion des E-Ing auf diese schwachsinnige Bemerkung ausmalte.
„ Darf ich fragen, seit wann Sie zur See fahren?“
„Oh, mein liebes Kind, da lagen Sie unter Garantie noch als Quark im Schaufenster eines Supermarktes.“ Peter Reiter lachte schallend „Soll heißen, seit beinahe fünfundzwanzig Jahren. Und das ungeachtet der Tatsache, dass ich mir nach jeder Fahrt schwöre, nie wieder einen Fuß auf ein Schiff zu setzen. Kaum bin ich dann an Land, komme ich mir auch schon wie ein Alien vor. Man findet sich einfach nicht mehr zurecht an dem Ort, den man sein Zuhause nennt. Stattdessen schlägt man sinnlos die Zeit tot und weiß kaum etwas mit sich anzufangen, liest stundenlang Zeitung, trifft sich mit der buckligen Verwandtschaft, die nach einem Tag nur noch nervt. Und schließlich wartet man händeringend auf das erlösende Klingeln des Telefons in der Hoffnung, die Reederei ruft an und gibt den Termin für das Auslaufen zur nächsten Fahrt durch.“
„ Und was ist mit Ihrer Familie? Ich könnte mir vorstellen, dass die von einer solchen Einstellung nicht unbedingt begeistert ist.“
„Meine Familie?“ Reiter legte den Zeigefinger an die Lippen und tat, als müsste er in seinem Gedächtnis kramen. Nein, mit diesem Begriff wusste er wirklich nicht viel anzufangen. „Die Familie kennt es nicht anders. Uns Vaddern fährt die Kohle ein, ansonsten haben wir Ruhe vor ihm. Und das ist vermutlich gut so – für beide Seiten, wohlgemerkt. Es fällt schwer, sich das einzugestehen, aber meine Frau hat sich längst darauf eingestellt, daheim sämtliche Angelegenheiten alleine zu managen. Sie führt das Regiment, während ich mit meinem Auftauchen höchstens ihren bis ins Detail geregelten Tagesablauf durcheinander bringe. Für die sporadische Gastrolle, die ich spiele, ist darin kein Platz. Das Töchterchen ist vierzehn und verdreht die Augen, wenn ihr Alter länger als eine Woche Landurlaub hat und sich in dieser Zeit mehr schlecht als recht müht, das Familienoberhaupt zu mimen. Ich bin ein Fremdkörper, den man schnellstens und ohne größeren Schaden zu nehmen, wieder loswerden möchte. Mein Sohn spuckt mir inzwischen auf den Kopf, ohne dass ich überhaupt bemerkt habe, wann er erwachsen geworden ist – geschweige denn einen Anteil daran hatte. Wird dann endlich das Telegramm der Reederei an der Haustür abgegeben, atmen beide Seiten erleichtert auf. Denn in diesem Moment zieht wieder Ordnung in den Alltag ein – für meine Familie und für mich ebenso.“
„Das sind ziemlich harte Worte“, bemerkte Suse zurückhaltend. Sie wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, indem sie ihre Meinung zu einem Thema äußerte, von dem sie nicht die geringste Ahnung hatte. Dennoch stimmte sie die Beschreibung eines derart trostlosen Familienlebens traurig.
Der E-Ing betrachtete sie mit wehmütigem Blick, bis er die Erinnerungen resolut beiseite wischte. Es war mühselig, weitere Gedanken an diese Zweckgemeinschaft zu verschwenden, die sich höchstens auf dem Papier Familie nannte.
„Und Sie? Warum wollen Sie unbedingt zur See fahren? Locken Sie fremde Länder, Abenteuerlust … oder wir Seemänner in unseren schmucken Uniformen?“
Bei diesen Worten reckte er stolz seine breite Brust und posierte wie ein Modell vor Suse. Sein jungenhaft schelmisches Lachen war ansteckend. Er beugte sich weiter über die Reling und das Schmunzeln auf seinem Mund wurde noch breiter. Auf dem Hauptdeck hatte er den Schiffskoch ausgemacht, der sich suchend umschaute und von Backbord nach Steuerbord und wieder zurück lief, bis er schließlich den Kopf hob und einen Blick in Richtung Bootsdeck warf. Als der Koch ihn und Susanne erkannte, bewegte er sich langsam auf die Freitreppe zu.
„ Ein kluger Mann hat einmal behauptet: Du findest auf See, was immer du suchst. Es könnten also durchaus auch Seemänner in gestreifter Uniform sein, nicht wahr?“
Suse hob die Augenbrauen. Ihre Stupsnase kräuselte sich amüsiert. „Gestreifte Uniform? Ist die Zeit der Galeerensträflinge nicht längst passé?“
Sie verfolgte den Blick des E-Ing auf das unter ihnen liegende Wetterdeck und sofort überzog verräteris ches Rot ihre Wangen. „Oh. Tja dann, hat sich’s also herumgesprochen“, knurrte sie verschämt. „Wir hatten uns einige Mühe gegeben.“
„D as kann man sich
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