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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Fleisch wäre jetzt genau das Richtige für dich, aber ich erlaube dir nicht, ihn zu fressen.«
    Don Mazarino – so tauft sie das Vögelchen – zwitschert laut und schrill. Leonoras Herz klopft heftig, das Gezwitscher spornt sie an wie eine Peitsche, die durch die Luft saust: ›Leonora, tu etwas für dich.‹
    Hartnäckig hält sich die Einsamkeit. Gegen sechs Uhr abends überquert eine Pferdelegion aus Großbritannien den Atlantik, und Leonora kapituliert unter ihrem Galopp. Sie schwimmen zwischen den Kriegsschiffen, Fallschirmen und Soldatenleichen, dann galoppieren ihre flinken, geschickten Hufe donnernd durch die Calle Rosas Moreno und trampeln über sie hinweg. Sie hinterlassen Prophezeiungen, und Leonora schreibt sie auf.
    »Lies mal, Renato, das sind furchtbare Dinge. Was uns widerfahren wird, ist entsetzlich.«
    Renato nimmt sie in den Arm.
    »Ich brauche Dicky, Daisy und Kitty, sie leisten mir Gesellschaft.«
    »Leiste du mir Gesellschaft, Leonora, werde Teil dieses Landes, lern es kennen, statt es abzulehnen.«
    »Aber ich verstehe doch nichts.«
    Innerhalb des gleichen Viertels ziehen sie in die Calle Artes 110 um, den früheren Sitz der russischen Botschaft, der einen Hauch seiner einstigen Pracht bewahrt hat. Renato nimmt Leonora mit ins Danubio und ins Prendes. Überall ist er beliebt, laufend schickt jemand eine Flasche an seinen Tisch. Alle umarmen ihn mit lautem Schulterklopfen, das wie Trommelschläge klingt. Kaum öffnet er den Mund, bricht lautes Gelächter los, das Leonora betäubt, die Tischgenossen werfen ihm verschwörerische Blicke zu und beglückwünschen ihn: »Tolle Frau!«, »Da hast du dir aber ein hübsches Ding mitgebracht!«
    Renato lässt Leonora warten. Nichts wirft sie leichter aus der Bahn, als im Zimmer auf und ab zu laufen, ein Buch aufzuschlagen, ohne es lesen zu können, sich, kaum aus dem Bett gestiegen, gleich wieder hineinzulegen. Nicht einmal weinen kann sie. ›Was soll ich morgen machen? Um wie viel Uhr kommt Renato? Wozu wache ich überhaupt auf?‹ Die galoppierenden Gedanken rauben ihr den Schlaf. Vielleicht wegen der Höhe. Die Stadt liegt über zweitausend Meter oberhalb des Meeresspiegels. Der nächtliche Schlafmangel lähmt sie am Tag, die meiste Zeit sitzt sie auf einem Stuhl am Fenster. Es ist heiß. In ihrer Ahnungslosigkeit hatte sie sich eingebildet, ihr Leben würde weitergehen wie in New York, jetzt erdrückt sie die Einsamkeit. Draußen so viel heiße Luft, und sie hier drinnen, erstarrt in der Zeit.
    Sie öffnet die Tür, und vor ihr steht ein weißer Hund, der ihr fest in die Augen blickt. Er ist groß, fast so groß wie ein Pony.
    »Komm rein, Pete.«
    Renato protestiert nicht, als er ihn sieht, undPete läuft ihm hinterher. Gemeinsam mit Pete verlässt Renato morgens das Haus, der Hund begleitet ihn bis zur Straßenbahnhaltestelle und trottet allein zurück. Abends ist er der Einzige, den Renato begrüßt. Während Leonora sich die Tränen abwischt.
    »Ich komme nicht klar mit mir selbst.«
    »Begleite mich. Setz dich in die Redaktion von El Universal , während ich an meinem Artikel schreibe. Und danach gehen wir ein paar Tequilas trinken.«
    »Nein. Deine Freunde und die Cantinas machen mir Angst.«
    »Geh wenigstens vor die Tür. Ein Gang durch die frische Luft hilft oft am allerbesten, wenn man unglücklich ist. Weißt du, Leonora, mir machen Verkehr, Hitze und Entfernungen nichts aus, mir ist es noch nicht mal besonders wichtig, wohin ich unterwegs bin. Aus dem Haus zu gehen bedeutet ganz einfach, aus sich selbst herauszugehen. Geh nach draußen, los, riskier’s, geh raus.«
    »Ich kenne doch niemanden.«
    Renatos Anteilnahme schwindet zusehends, und Leonora weiß nicht, wie sie sich in seine Kreise einfügen soll.
    »Bringst du deine Engländerin mit?«, fragen die Freunde.
    »Nein, wozu, dieses Biest redet mehr mit dem Hund als mit mir.«
    »Sie sieht toll aus.«
    »Ja, schön ist sie, aber sie passt nicht hierher.«
    »Mensch, lass ihr Zeit, und gib gut auf sie Acht, damit keiner sie dir klaut.«
    Leonora fragt sich immer wieder, was sie in Mexiko soll. ›Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht‹, denkt sie. Sie geht mit ihren Hunden spazieren und vermisst Renato, der in der Redaktion einer Zeitung, deren Namen sie vergessen hat, an einer Remington sitzt.
    In der Calle Artes erkundigt sich ein dunkelhäutiger junger Mann im Overall nach ihm.
    »Ist Renato da? Wir brauchen ihn. Er soll zum Gericht kommen und uns helfen, einen Kumpel

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