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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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nicht ins Kino.«
    »Mama nimmt uns aber mit!«, erwidert Gaby trotzig.
    Im ›Cine de las Américas‹ laufen Gangsterfilme. Bei jedem Schuss zuckt Leonora zusammen. »Keine Angst, Mama, ich werde dich immer beschützen«, sagt Gaby. Stoisch erträgt Leonora die Western mit den Cowboys und ihren rauchenden Colts, den von den Bergen herabgaloppierenden Indianern, die inmitten wilder Schießereien Postkutschen überfallen. Die über die Leinwand jagenden Pferde muntern sie auf.
    »Ich bin aber besser geritten als der«, sagt sie zu Gaby.
    »Hast du denn auch das Mädchen gerettet?«
    »Ich habe ja nicht mal mich selbst gerettet, wie hätte ich da irgendein Mädchen retten sollen?«
    Danach trinken die Jungen einen Schokoladen-Erdbeer-Milkshake oder bestellen sich ein Banana Split, während Leonora sich über den schlechten Tee beschwert.
    Zu Hause liest Chiki ihnen aus einem dicken Buch vor. Wenn ihnen davon noch immer nicht die Augen zufallen, holt er eine religiöse Schrift aus dem Bücherregal, darüber schlafen sie endgültig ein.
    Pablo malt ein Aquarell, Leonora lobt ihn und hängt das Bild mit einer Heftzwecke an die Wand.
    »Ma’, heute Nacht ist das Mädchen, das ich gemalt habe, aus dem Bild gesprungen.«
    »Keine Sorge, auch die Mädchen, die ich male, machen sich manchmal aus dem Staub. Gestern habe ich einer alten Frau meinen Rock und meinen Pullover angezogen, und heute Morgen ist sie zu mir gekommen, um mir die Kleidungsstücke zurückzugeben. ›Ich entkleide mich von dir‹, hat sie zu mir gesagt.«
    Leonora leidet unter starken Krisen. »Ich kann nicht mehr malen«, klagt sie, und José Horna nimmt sie mit nach Cuernavaca, wo sie durchatmen und die Bäume betrachten kann.
    Leonora, Chiki, Gaby und Pablo haben nur die Flüchtlinge als Familie. Kati Horna, Tochter eines ungarischen Bankiers, hatte eine Schwester, die ermordet wurde. Chiki sieht keinen Grund, nach Budapest zurückzukehren.
    »Wie hältst du es hier aus, ohne an eine Rückkehr nach Europa zu denken?«, wirft der immer verzweifeltere Benjamin Péret Remedios vor. »Ich kann nicht mehr.«
    »Dann geh doch, nichts und niemand hält dich hier zurück«, erwidert Remedios ungeduldig.
    »Ja, natürlich, nichts und niemand – außer dem Geld, das ich nicht habe«, versetzt Péret giftig.
    Schließlich finanzieren die Pariser Surrealistenfreunde ihm die Überfahrt. Als er fort ist, atmet Remedios auf. Kurze Zeit später lockt sie ein Brief aus Südamerika nach Venezuela, wo ihr Bruder Rodrigo mit seinem neuen Geliebten zusammenlebt. ›Ich habe eine Stelle in Caracas, im Gesundheitsministerium‹, schreibt er, ›gern würde ich meine freie Zeit mit euch verbringen.‹
    Remedios verabschiedet sich von Leonora, und sie versprechen einander, sich zu schreiben. »Wie schaffst du es nur, dich in ein Flugzeug zu setzen?«, fragt Leonora ihre Freundin. »Ich habe panische Angst vorm Fliegen.«
    In Caracas beauftragt der Pharmakonzern Bayer Remedios mit Illustrationen für eine Schmerzmittelwerbung und schlägt ihr vor, sich dabei von mittelalterlichen Folterinstrumenten inspirieren zu lassen. Remedios malt Frauen mit schmerzverzerrten Gesichtern, auf Folterbänke gespannt, von Messern und Nägeln gequält.
    Leonoras Angstzustände sind zurückgekehrt und werden mit der Zeit immer stärker. Sosehr sie auch um ihr inneres Gleichgewicht ringt, an manchen Tagen kommt sie morgens kaum aus dem Bett. Dann sind Gabys und Pablos Stimmen die Fäden, die ihr helfen, wieder aus dem Labyrinth herauszufinden. Genauso wie das Bild auf der Staffelei, das sie ruft.
    »Womöglich sind es diese Ängste, die dich zum Malen treiben. Respektiere sie«, sagt Chiki, der das Bringen und Abholen der Kinder übernimmt.
    ›Sollte ich vielleicht nach England zurückgehen und alles zum Teufel jagen?‹, fragt sie sich. ›Aber was ist alles? Und schlimmer noch: Ist dieses alles das Exil wert?‹
    »Wir machen nichts, die Dinge widerfahren uns«, sagt Chiki.
    »Du bist doch der, der nichts macht. Es reicht mir mit dir.«
    Ein paar Tage lang reden sie nicht miteinander.
    ›Manchmal fühle ich mich wie eine wurzellose Pflanze. Max hatte recht, ich bin die Windsbraut‹, schreibt sie Remedios.
    ›Ich weiß jetzt alles über Malaria, zeichne viel für Bayer, mir geht es gut, ich habe Arbeit. Kein Krabbeltier ist mir mehr fremd, was ich hier treibe, ist Insektenkunde …‹ antwortet Remedios. ›Ich glaube, ich komme bald nach Mexiko zurück.‹
    »Zwei Jahre sind so lang!«,

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