Frau des Windes - Roman
anderer. Nur dass die Babypflege ihr so viel Zeit raubt, bedauert er. Wenn er mit Leonora reden will, bekommt er oft zur Antwort, sie müsse sich um Gaby kümmern, den Hund ausführen, das Abendessen kochen oder ins Stadtzentrum gehen, um eine fünfundsiebzig mal vierzig Zentimeter große Leinwand zu kaufen.
Bei Leonora stehen weder Tischchen noch Höckerchen herum, keine Nippes. Früh hat sie die Verbindung zur Vergangenheit gekappt, sich von allem befreit, was ihr in die Quere kommen könnte. Niemals würde sie sich über Badezimmerdekoration Gedanken machen wie James, der Paul Nash mit der Gestaltung seines Bades in der Wimpole Street beauftragt hat. Ihr schöpferischer Drang hat mit einem Pinselstrich die Vergangenheit übertüncht und gräbt sich jetzt wie ein Bergmann seinen Stollen in die Kohle.
Mit James kann Leonora über alles reden und sich sicher sein, dass er sie versteht. Überdies ist der Engländer ein Charmeur. Leonora staunt, wie gut er sich mit Kunst auskennt. Und ihm schmeichelt es, wie aufmerksam sie ihm zuhört, wie gespannt ihre intelligenten Augen auf alles lauern, was aus seinem Mund kommt. Sämtliche Werke will er ihr abkaufen, selbst die, die sie noch gar nicht gemalt hat. Stundenlang steht er vor ihrer Staffelei. »Diese Figur sähe, glaube ich, stehend besser aus«, stellt er fest und hat recht. Chiki würde es niemals wagen, seiner Frau Ratschläge zu erteilen; Leonora ist ihm überlegen, und ihr allzu bescheidener Mann erkennt ihr Genie an.
Edward James wird Teil der Familie. Unangemeldet steht er vor der Tür, steigt die Treppe hoch ins Atelier, mustert das noch unfertige Werk auf der Staffelei. Das Blau könne kräftiger sein, meint er, und den Figuren in der rechten Ecke stünden rote Mäntel gut, am linken Rand dagegen fehle noch ein Tier. Am wichtigsten sei die Wahl des Titels. Leonora zieht ihn zu Rate, keiner hat ihr je so viel gegeben wie er.
»Wunderbar, wunderbar!«, sagt der Mäzen und begutachtet mit Sorgfalt das neue Werk. »Deinetwegen lohnt sich der Weg nach Mexiko!«
»Was meinst du, wie sollte ich es nennen?‹, fragt Leonora.
Sie hält so große Stücke auf sein Urteil, dass sie ihn sogar mit dem Pinsel in der Hand befragt. Und zuweilen steht James neben ihr, während sie malt, und hält den Atem an.
Was Leonora an ihm liebt, ist seine leidenschaftliche Begeisterung für ihre Person. Neugierig blickt er sie an – was wird sie tun, was wird sie sagen? –, hängt an ihren Lippen, nimmt jedes Wort interessiert auf. Dass sie einen Mann derart fasziniert, bestätigt Leonora in ihrem Glauben, auf dem richtigen Weg zu sein. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Mexiko ermutigt jemand sie wirklich als Malerin. Max hat es auf seine Art getan. Edward versichert ihr, das, was sie mache, sei wahre Kunst, Leonor Fini könne ihr nicht das Wasser reichen. Auch Remedios kauft er Bilder ab, Kati und José Horna macht er Hoffnung mit Zukunftsprojekten, Leonora aber betrachtet er als echte Künstlerin.
Was James an Mexiko am meisten schätzt, ist Leonora und ihr riesiges Talent, ein Talent, das sich auch im Schreiben niederschlägt. Ihre Erzählungen treffen ihn ins Mark. »Ich weiß, was es heißt, in die Hölle der Depression hinabzusteigen, Leonora«, sagt er nach der Lektüre von Unten . Gleichwohl hat keiner von beiden trotz der leidvollen Erfahrungen je den Tod herbeigerufen. Leonora hat schon 1937 in Frankreich von dem Engländer Edward James gehört, der in der Londoner Mayor Gallery Max Ernsts Bild Zu den Antipoden der Landschaft erstanden hatte. Sie wusste damals nicht, wie wichtig ein Mäzen sein kann, verband diese Figur nur mit Peggy, der von ihren Hunden Umringten, die einem weiteren Hund sein Werk abkaufte, natürlich einem zweibeinigen mit ausgeprägtem Schoßhundcharakter.
Ihr Gönner sagt, ihre Malerei sei spontan, unbewusst.
»Es ist, als würden Erfahrungen aus früheren Leben in deiner Seele überdauern. Deine Gemälde sind nicht literarisch, du hast sie in der Kellerei deiner Libido gebrannt.«
Von Furcht und Misstrauen geplagt, wendet Leonora sich an ihn. New York ist der Markt, und James hat Zugang zu ihm. An welche Galerien soll man sich wenden? Leonora verteidigt ihr Werk wie eine Löwin ihr Neugeborenes. Chiki fotografiert ihre Bilder, das ganze Leben dreht sich um die Werke auf der Staffelei, und es wird immer deutlicher, dass Leonora die Ernährerin der Familie ist. Chikis natürliche Bescheidenheit und seine höfliche Zurückhaltung, die zu ihm
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