Frau des Windes - Roman
ödet er an.«
Remedios wird fünfundvierzig und feiert ihren Geburtstag in ihrer Wohnung. Rasch wird es eng, weil die Angestellten des Sala Margolín sechs Mariachis von der Plaza Garibaldi mitgebracht haben. Die Gäste sind von Sombreros umringt, Gitarren verdecken die Bäuche der Sänger, und Leonora bittet die Musiker, noch einmal Las mañanitas zu spielen, weil ihr der Teil mit dem Gesang der Nachtigallen so gut gefällt.
Einer der Mariachis lässt seinen Sombrero auf einem Stuhl liegen, und Pablo gießt eine halbe Flasche Tequila hinein.
»Warum lässt er ihn auch herumliegen? In einen Hut passt viel Tequila«, verteidigt Leonora ihren Sohn.
Was immer ihre Kinder tun, Leonora gibt ihnen recht.
Kati und José Horna fallen in den Gesang der Musiker ein, ihre Tochter Nora, die Pablo nicht von der Seite weicht, löst ihre Zöpfe.
»Mach ein paar Fotos, Kati«, bittet Chiki.
Remedios ist kreativer denn je, sie verlässt ihre Staffelei nur selten und schläft wenig.
»Mensch, warum rackerst du dich so ab, Remedios? Wozu die Eile?«
Leonora arbeitet an Sacrament at Minos . Doch es geht nicht recht voran, denn jedes Mal, wenn sie sich der Opferung des Stiers zuwendet, muss sie wieder an den Stierkampf denken, den sie gemeinsam mit Leduc und Gaona erlebt hat.
»Meinen Stier von Minos wollte ich nicht durch einen Männerkörper verunstalten«, erklärt sie später.
Als Sacrament at Minos fertig ist, malt sie Sidhe, the White People of the Tuatha Dé Danann. Um einen Tisch haben sich die Mond-Sidhe versammelt, um die Hochzeit von Dagda und der Großen Muttergöttin zu feiern. Eines der Wesen tanzt zu Ehren eines Pferdes, das die Kelten wegen seiner Schnelligkeit und Tapferkeit verehren. Alle sind Lichtwesen.
»Wenn wir mit Großmutter Mary Monica Moorhead im Park spazieren gingen, blieb sie immer irgendwann stehen und legte im Gedenken an die Sidhe Steine zu einem Kreis zusammen«, erinnert sich Leonora.
»Steinhaufen zu Ehren der Toten zu errichten ist eine gute Sache. Mir gefallen die Dolmen an der irischen Küste«, sagt Kati.
Die Fünfzigerjahre sind intensive Schaffensjahre, Remedios und Leonora malen um die Wette, und Kati wird als Fotografin immer erfolgreicher. Neben dem Malen kümmert Leonora sich um ihre Kinder und amüsiert sich über ihre Einfälle.
Remedios erzählt ihr, der Bankier Eduardo Villaseñor habe sie mit einem Wandbild zur Geschichte seiner Bank beauftragt.
»Ich habe ihm gesagt, ich könne ja einen Mann malen, der am Eingang einer Höhle sitzt und mit einer Keule einen Knochenhaufen beschützt. Eigentlich dachte ich, er würde sich nie mehr melden, aber zwei Monate später stand er wieder vor der Tür und fragte, ob ich seine Söhne Andrea und Lorenzo porträtieren könne. Diesmal habe ich ja gesagt.«
Im selben Jahr malt Leonora The Chair: Daghda Tuatha Dé Danann , eine Hommage an das Ei und die Fruchtbarkeit. Das Gesicht der Stuhlfrau spiegelt deren Wunsch, von dem kleinen Ei, das sie in den Händen hält, befruchtet zu werden. Der Stuhl, der das weibliche Geschlecht darstellt, verströmt weißes Licht.
In Ab eo quod greift Leonora abermals das Fruchtbarkeitsthema auf. Das Bild zeigt ein riesiges Ei, Weintrauben und zwei Weingläser sowie einen dem Asensus nigrum entnommenen alchemistischen Text aus dem Jahr 1351. Er lautet: ›Halte dich fern von jedem, der einen schwarzen Schwanz hat, das ist die Schönheit der Erde.‹ Unter dem Tisch schaut ein finsteres, aus Gräsern und schwarzen Wurzeln bestehendes Gesicht hervor, von Motten umflattert, die sich in Schmetterlinge verwandeln.
»Du holst uns aus dem Kokon und erlöst uns alle«, stellt Remedios fest.
»Dieser gelbe Schmetterling, der vor dem dunklen Gesicht umherflattert, das bin ich. Ich brenne«, erklärt Leonora.
Erstmals stellt Remedios ihre Werke in der Galería Diana aus. »Ich habe Angst«, sagt sie, »ich weiß nicht, wie die Leute reagieren werden. Walter versucht, mich zu beruhigen, aber …« Innerhalb von drei Tagen sind alle Bilder verkauft, mehrere Kunstsammler lassen sich auf eine Warteliste setzen. »Das müssen wir feiern«, sagt Leonora. Sie gehen essen, und Leonora bestellt eine Flasche Pétrus.
»Woher weißt du eigentlich, wie man Wein kostet?«, fragt Remedios.
»Das habe ich früh gelernt, und dank Saint-Martin d’Ardèche und Max habe ich es zum Ehrendoktor gebracht.«
Wie aus dem Nichts aufgetaucht, steht plötzlich mitten im Zimmer eine große Truhe.
»Was ist das denn?«, fragt
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