Frau des Windes - Roman
klagt Leonora.
Unterdessen malt sie Crookhey Hall , Seraputina’s Rehearsal, Kandy Murasaki, Plain Chant und Nine, nine, nine .
›Ich hatte meine erste Einzelausstellung in New York, in der Pierre Matisse Gallery, und Edward ist begeistert von meinen Bildern‹, schreibt sie Remedios stolz.
Nicht nur die Geburt ihrer Kinder, auch Edward James hat großen Anteil an ihrer Produktivität. Als Remedios 1949 nach Mexiko zurückkehrt, ist sie überwältigt von Leonoras Gemälden.
»Während ich medizinische Kataloge illustriert habe, hast du all diese Wunderwerke vollbracht? Wie sehr du dich weiterentwickelt hast!«
Abermals ergänzen die Freundinnen sich perfekt: Beide sind neugierig und kritisch. Mit wallender Mähne – die eine rot, die andere schwarz – laufen sie nebeneinander durch die Straßen, bis sie beim Sala Margolín angekommen sind, dem einzigen Laden der Stadt, der sich auf klassische Musik spezialisiert hat. Der Inhaber Walter Gruen betört Remedios mit seinen Kenntnissen.
»Auch Strawinsky höre ich sehr gern«, sagt er.
»Ich kenne Strawinsky, er war mal bei uns«, erzählt Leonora. »Aber er will nie über Musik reden, immer nur über seine Sinusitis.«
»Mein Lieblingskomponist ist Ravel«, wirft Remedios ein.
»Ich weiß nicht, warum«, erwidert Leonora, »aber mir kommt es immer so vor, als sei Ravel während der Komposition seines Boleros nach und nach taub geworden, denn er beginnt sehr gedämpft und hört mit einer Fanfare auf.«
Walter gehen Leonoras Kommentare auf die Nerven, Remedios’ Bemerkungen indessen bezaubern ihn. Sie sehen sich nun häufiger. Der Österreicher und seine kürzlich verstorbene Ehefrau Clara haben früher zu Remedios’ Freundeskreis gehört, und Walter erinnert sich noch gut an den Abend, als Leonora in einer Silberschüssel Kaviar servierte.
»Das sind mit Tintenfischfarbe gefärbte Tapiokaperlen«, verkündete sie, als Benjamin Péret sich gerade einen gehäuften Löffel davon genommen hatte. »Schmecken doch genau wie Kaviar, nicht?«
Gruen war begeistert von der Idee, Péret keineswegs.
An der Seite des Witwers fühlt Remedios sich geborgen. Zudem reizt sie die Aussicht, endlich ›ernsthaft‹ malen zu können; denn Gruen hat ihr vorgeschlagen: »Du malst, und ich sorge für dich.« Das Paar bezieht eine Wohnung in der Avenida Álvaro Obregón.
Remedios braucht nun keine Laborkataloge mehr zu illustrieren. Nach einem Jahr des Zusammenlebens mit Walter beendet sie das Bild Vorahnung ; es stellt drei weißgekleidete Frauen dar, die drei Parzen, die sich zu entfernen versuchen, aber von den weißen Fäden einer Riesenspindel an ihren Tuniken festgehalten werden.
Leonora und Remedios stehen einander mit Rat und Tat zur Seite. Remedios verliebt sich in die Werke von Piranesi, Goya, Antonello de Messina, Hieronymus Bosch, und während Leonora in ihrem keltischen Universum lebt, errichtet sie sich eine eigene Welt am Beispiel von Boschs Garten der Lüste, seinen Eiern und Minotauren. Wie Leonora interessiert sie sich für die berühmten Alchemisten wie Nicolas Flamel oder Fulcanelli und für okkultistische Bewegungen. Ihre Werke und die Leonoras ergänzen einander.
»Ich bin fast fertig mit And then We Saw the Daughter of the Minotaur «, erzählt ihr Leonora. »Zum ersten Mal arbeite ich mit der Blattgoldtechnik. Dabei klebe ich kleine Goldplättchen auf die Figuren, aber eine falsche Bewegung, und die Plättchen sind unbrauchbar.«
Wenn ihre Arbeit sich am Nachmittag länger hinzieht als geplant und die Kinder ungeduldig ihre Nasen an die Glasscheibe der Ateliertür drücken, ruft Leonora Chiki zu Hilfe:
»Was ich gerade mache, ist sehr schwierig, es erfordert viel Vorsicht, Geschick und Überlegung. Die Kinder machen mich nervös, könntest du mit ihnen spazieren gehen?«
Sobald sie ein Bild beendet hat, sucht sie Remedios auf.
»Gut, dass du kommst, ich wollte dir nämlich erzählen, dass ich heute Nacht geträumt habe, ich würde eine blonde Katze im Waschbecken baden. Die Katze warst du, Leonora, du hattest einen gelben Mantel an, der gründlich ausgespült werden musste!«
»Und weiter?«
»Nichts weiter, danach bin ich aufgewacht.«
»Dein Traum sagt mir, dass sich in meinem Leben etwas ändern muss. Ehrlich gesagt habe ich die Nase voll von Chiki.«
»Vielleicht ist ja Chiki die Katze«, entgegnet Remedios.
Neugierig steckt Walter seinen Kopf zur Tür herein, geht aber gleich wieder.
»Langweilt er dich nicht?«, fragt Leonora, »mich
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