Frau des Windes - Roman
Poesie verlieren, um sich selbst zu finden, um in ihr geboren zu werden und in ihr zu sterben.
Leonora geht nun völlig darin auf, Bühnenbild und Kostüme zu entwerfen, doch ihre Kulissen verschlingen das Stück, rauben sogar den Schauspielern ihre Bewegungsfreiheit. Für Beatriz hat Leonora einen breiten, weißen Hut entworfen, den die Schauspielerin nicht tragen will.
»Der ist zu schwer, er fällt mir vom Kopf. Ich bin mit meinen Gedanken mehr bei diesem Riesenteil als bei dem, was ich sagen muss.«
»Wir können ihn verkleinern.«
Juan Soriano weiß, wie man sie im richtigen Ton um etwas bittet, und Leonora arbeitet den Hut um. Sorianos lockere, vergnügte Art bringt sie zum Lachen.
»Ich glaube, du bist ein Sidhe, Juan.«
»Du meinst wohl eher, ein Chaneque.«
»Wir wiederholen jetzt die Szene mit dem Kuss.«
Die Schauspieler León Felipe und Diego de Mesa raten zu weniger Bäumen. »Wir haben zu wenig Platz auf der Bühne«, beschwert sich auch Héctor Mendoza. »Jedes Mal, wenn der Bote hereinkommt, schmeißt er die gemalten Blumen und Tiere um.«
Auch Sorianos Kostüm ist äußerst voluminös. »Kein Problem«, verteidigt Paz Leonoras Arbeit. »Über sechzehn Meter königsblaues Nylon, das ist mal was ganz Neues.«
Das nächste Stück der Kampagne ist Das Nachtmahl des Balthasar . Diesmal schlägt Leonora vor, das Publikum solle Masken tragen. Doch die Mittel reichen nicht, um dreihundert Masken anzufertigen, decken nicht einmal die Kosten für das Bühnenbild. Der allgemeinen Begeisterung tut das keinen Abbruch.
Auch bei der Inszenierung einer Farce von Diego Sánchez de Badajoz sprengen der Federschmuck und die prachtvollen Samtkleider schon bald das Budget. Während Leonora den Proben als Zuschauerin beiwohnt, denkt sie auch über ihre eigenen Bühnenwerke nach. Sie erinnert sich an Penélope und verfasst in Gedanken Die Erfindung des Mole , ein Stück, in dem der Erzbischof von Canterbury in einem riesigen Kochtopf schmort, während der Aztekenherrscher Moctezuma ihm lästige Fragen stellt. Nach und nach versinkt der Erzbischof gurgelnd in der Suppe, bis nur noch sein Kopf mit der Mitra zu sehen ist und sein Bischofsstab wie ein Schöpflöffel aus dem Topf ragt. Das Bild beflügelt sie. Ob Luis María Martínez, der Erzbischof von Mexiko, sich wohl bereit erklären würde, die Rolle zu übernehmen? Es heißt ja, er ziehe gern in trägerloser Soutane durch die Nachtclubs der Stadt, um ihnen seinen Segen zu erteilen.
»Wenn ich aus dem zähen Burschen einen guten Eintopf kochen soll, muss ich ihm aber ein ordentliches Feuer unterm Hintern machen«, spöttelt Leonora.
»Du liebst es wirklich zu provozieren«, sagt Juan Soriano lachend. »Wir Mexikaner sind kitschig und sentimental.«
In der Calle Chihuahua taucht ein weiterer junger Künstler auf und stellt sich als ›Lehrer für Unsichtbarkeit‹ vor: Alejandro Jodorowsky.
Stets aufgeschlossen für unkonventionelle Ideen, begeistert Leonora sich für den Vorschlag des jungen Schriftstellers, tausend als Päpstinnen verkleidete Frauen den Vatikan stürmen zu lassen, um die Kirche zur Aufgabe ihrer frauenfeindlichen Haltung zu zwingen.
»Du hast ganz recht, es ist unverschämt, wie die uns behandeln.«
Am liebsten unterhalten sie sich über das Unbewusste und den Kampf gegen Vorurteile. Der Argentinier Jodorowsky, auch er ein Katzenfreund, erzählt Leonora, er kenne sich gut aus mit dem Tarot de Marseille und sein drittes Auge sei besonders ausgeprägt. Sie holt ihre Tarot-Karten hervor und legt sie auf dem Küchentisch aus.
»Dein Tarot ist eine Gringo-Erfindung von White, das Kartenspiel haben die Hippies in Berkeley benutzt. Es taugt nichts.«
»Whites Symbole gefallen mir aber unheimlich gut«, entgegnet Leonora pikiert. »Auf meiner Lieblingskarte heulen die Hyäne und der Wolf, durch einen Skorpion getrennt, die Mondfrau an.«
»Diese Karte allein zeigt schon, dass du durch Ängste, abwegige Gedanken und einen Hang zum Phantasieren blockiert bist.«
Auf Jodorowskys ersten Besuch folgen viele weitere. Gaby und Pablo haben schon so viele ungewöhnliche Männer und Frauen ins Haus kommen sehen, dass sie sich über nichts mehr wundern. Der Exzentrischste von allen aber ist und bleibt Edward James, und den haben sie auch ertragen gelernt. Alejandro stellt Leonora Álvaro Custodio vor, der sie mit der Gestaltung eines Bühnenbilds beauftragt. Gaby und Pablo machen die Proben Spaß, und beide helfen ihrer Mutter beim Bemalen der Masken
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