Frau des Windes - Roman
Alles andere, Opfer, Verzicht, Isolation, führt zur Sünde der Sterilität.«
»Wir schockieren die Leute«, gibt Leonora zu bedenken.
»Das ist ihr Problem, nicht unseres. Frag doch mal Fonfon, ob sie nicht mit uns baden gehen möchte. Sie hat eine Menge Fleisch auf den Knochen, deshalb würde sie die Einladung nicht annehmen, ihre Sittsamkeit sitzt nicht in ihrem Körper, sondern in ihrem Kopf.«
In der Nacht regnet es, deshalb wollen sie am nächsten Tag Schnecken sammeln gehen.
»Nehmt keine vom Friedhof, die bereite ich euch nämlich nicht zu«, sagt Fonfon. »Dafür findet ihr auf dem Mäuerchen, das Noëls Weinberg begrenzt, jede Menge.«
Sie bringen Alphonsine vier Dutzend Schnecken mit.
»Man muss sie drei Tage liegen lassen, bis sie verhungern«, erklärt Max Leonora, »dann reinigt man sie in Essig und Salzwasser. Dabei sondern sie viel Schleim ab und sind dann sauber für die Zubereitung. Man kocht sie und legt sie in Knoblauchsoße. Sie schmecken köstlich!«
Während ihr Geliebter schläft, steht Leonora auf und beobachtet eine Spinne, die sich an ihrem Gewebe von der Decke herablässt und in den Sonnenfäden baumelt, die durch die Jalousie ins Zimmer fallen. Sie versucht, sich an Alphonsines Spruch zu erinnern: ›Spinne am Morgen, Kummer und Sorgen, Spinne am Abend, erquickend und labend.‹
Leonora ist hingerissen von der Landschaft mit ihren Weinbergen. Die Winzer kümmern sich um ihre Weinstöcke wie um ihre Kinder. Wein war der Grund, warum die Soldaten Johanna von Orléans folgten, Wein hat den heiligen Ludwig, König von Frankreich, gekrönt, die im Keller lagernden Barriquen waren sein Thron. Seit dem Mittelalter hängen die Bauern Weinblätter an ihre Haustüren, damit die guten Geister ihnen wohlgesinnt sind und ihnen eine reiche Ernte bescheren.
»1914 und 1932 waren gute Erntejahre«, erklärt Alphonsine. »Hier in der Gegend vergraben manche Bauern unter jedem Weinstock einen lebenden Frosch, das verbessert die Qualität des Weines.«
Am Tisch nebenan unterhält sich ein Paar mit starkem Marseiller Akzent.
»Zelten Sie hier?«, fragt Max die beiden.
»Ja, auf der anderen Seite des Flusses. Die Dorfbewohner sagen zwar, das sei gefährlich …«
»Und Sie wollen nicht zufällig Ihr Zelt verkaufen?«
Drei Tage später wird Max zum Ausflügler.
Am Ufer der Ardèche, im Schatten des Felshanges, sieht das Zelt aus wie ein von einer Waschfrau vergessenes Tuch. Leonora hockt sich ans Wasser und putzt sich die Zähne. Ein paar kleine Fische frühstücken Zahnpasta mit Spucke. Als sie aufschaut, sieht sie ein aus dem Berg herauswachsendes Dorf, weiß von Häusern und schwarz von Zypressen.
»Ich glaube, da sollten wir hingehen.« Sie zeigt es Max, der sich wie eine Schlange in der Sonne aalt.
»Bei so einer Hitze wie heute laufe ich nicht gern«, sagt Max, steht auf und geht ins Wasser.
»Wir könnten hinschwimmen.« Leonora zeigt abermals auf den Berg.
»Einen Berg kann man nur erklimmen«, antwortet Max, dessen Kopf von kleinen Fischen umringt aus dem Wasser schaut.
Als er wieder ans Ufer kommt, sind seine Augen zwei wunderschöne blaue Fische, und seinen Kopf krönen flaumige weiße Federn. Er streckt sich neben Leonora aus.
»Nichts auf der Welt liebe ich mehr als warme Steine und Wasser«, murmelt er und streicht sich über den Bauch. »Was für ein herrliches Leben wir führen, Leonora. Ein paar von den Fischchen würde ich gern fangen und braten«, fügt er mit grausamem Lächeln hinzu. »Man beträufelt sie mit Zitrone, und sie knirschen einem zwischen den Zähnen. Ich habe Hunger, mach doch mal die Blechdose auf und hol den Käse raus. Und bring Tomaten und Brot mit. Ach, und vergiss den Wein nicht.«
»Darf es sonst noch was sein?«
»Trauben. Am besten alle.«
Leonora kommt zurück, sie essen inmitten einer Wolke aus Fliegen, dann schlafen sie. Als Leonora aufwacht, benommen von der Sonne, sieht sie, dass der Schatten den Fels violett verfärbt hat. Ihr Geliebter gibt eine Reihe merkwürdiger, trauriger Laute von sich, die sie nicht zu entschlüsseln vermag.
»Jetzt hätte ich nichts dagegen, den Berg zu erklimmen, Leonora«, sagt er gähnend und streckt die Arme aus.
Ein Pfad führt zu einem verfallenen Torbogen hinauf, und je höher sie steigen, umso einsamer fühlen sie sich. Die Gassen sind schwarz wie die Nacht, Feigenbäume wachsen in die Häuser. Aus einer Haustür tritt eine Ziege und schaut stolz von oben auf sie herab.
»Das ist keine Ziege, sondern
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