Frau des Windes - Roman
geschrieben und mit Schnörkeln, Rosen und Schwalben verziert. Ich habe meinen Chauffeur gesucht, der sollte mich in meinem Auto zum Palast fahren, aber da er ein Volltrottel ist, hatte er den Wagen vergraben, um Pilze zu züchten, und dadurch ist der Motor kaputt gegangen. Seiner Dummheit wegen war ich gezwungen, einen Karren mit zwei Zugpferden zu mieten. An der Tür des Palasts hat eine in Rot und Gold gekleidete Dienerin mich gewarnt: ›Heute Nacht ist die Königin wahnsinnig geworden. Sie liegt in ihrer Badewanne‹.«
Joë Bousquet schlägt die Augen auf.
»Welche Königin, die von England?«
»Die Rote Königin.«
»Das ist die richtige! Glaubst du, man wird mich vergraben wie dein Auto?«
»Ich glaube, du wirst zu Boden fallen wie eine schwere Pflaume, einfach so mit einem dumpfen Geräusch aufschlagen.«
Bousquet lächelt und ergreift ihre Hand.
»Welch ein Glück, dich zu sehen! Wie machst du dir eigentlich selbst Mut, Leonora?«
»Ich singe oder wiederhole ›Pferd, Pferd, Pferd, Pferd‹, statt zu beten.«
Aus Liebe zum Leben hat Joë Bousquet sich zuerst gewünscht, es zu zerstören, jetzt ist er bereit, es sterben zu lassen. Der jahrelange Opiumkonsum hat seine Schmerzen betäubt und seine Sehnsucht nach Selbstvernichtung erstickt.
»Als Verwundeter bin ich zu meiner eigenen Wunde geworden. Ich habe in einem Körper überlebt, der die Schande meiner Wünsche war … Nun kommen die letzten Jahre auf mich zu, nähern sich demütig und dienstbeflissen, jedes mit seiner Laterne. Es lebe mein Unglück!«
Leonora ist erleichtert, als sie das Zimmer verlassen kann, das ganz von Opium und dem Leiden eines verletzten, schmerzerfüllten Dichters durchdrungen ist, der seiner Lage mit aller Macht einen Sinn abgewinnen will.
Die Auberginen
Das Paar beschließt, nach Saint-Martin d’Ardèche zurückzufahren. Alphonsine erzählt, Marie Berthe Aurenche sei da gewesen und habe nach Max gefragt.
Jeden Morgen gehen sie langsam hinunter zum Fluss mit seinem Strand aus Steinen, die das Wasser in Ufernähe weiß färben. An seiner tiefsten Stelle versinkt der Fluss in dunklem Grün, dann fließt er ruhig und breit dem Meer entgegen. Sie ziehen sich aus, legen sich ans Ufer, Leonoras schwarzes Haar zerklüftet das Weiß. Stundenlang sind sie allein, niemand nähert sich, während sie einander umarmen, sie sind die Herren des Flusses. Wenn sie sich in die Sonne legen, speichern die Steine die Erinnerung an ihre Körper, wiegen sie, schläfern sie ein. Max führt Leonora. Mal nimmt er sie bei der Hand, mal lässt er sie los – er ist der Vogelobere.
»Lass uns baden.«
Ihr Geliebter zieht sie mit, und sie gehen ins Wasser. Als die Sonne den Zenit erreicht, verschwimmt Max vor Leonoras Augen.
»Die Steine wollen dich fressen, sie verschlucken dich, ich kann dich nicht mehr sehen.«
Sie aber schützt das dichte Gestrüpp ihres Körpers vor dem Verschlucktwerden. »Leonora, Leonora, Leonora, Leonora«, sagt Max zu ihrem Geschlecht, zu ihren Achseln, zu ihrem Haar, das schon zu Laub geworden ist, und sie lieben sich wie am Abend zuvor, wie am Morgen, wie jetzt. Die Steine sind ihre Todeswand: Soldaten, zielt aufs Herz, Feuer!
Der weiße Fluss verfolgt sie bis hinein in ihre Gedanken. In seiner Weiße gleicht er den hohen Kalksteinfelsen ringsum. Max betrachtet die Kreaturen, die sich zu Hunderten im Kalk geformt haben, er sagt, hier habe ein Mensch sein ganzes Leben damit verbracht, die Landschaft in einen Zoo zu verwandeln. Löwen, Bären, Tiger, Zentauren, Staatssekretäre und historische Persönlichkeiten habe er gemeißelt. Auf den Friedhöfen wachsen Zypressen, die Max an die Perücken der Frauen an den Höfen des 17. Jahrhunderts erinnern.
»Ich glaube, den Leuten im Dorf gefällt es nicht, dass wir nackt sind«, flüstert Leonora.
»Bären, Katzen, Mäuse, Schafe, Hunde, Vögel tragen Haut, Haar, Federn, Fell, und wir sagen nie, sie seien nackt. Garnelen, Krebse, Schaben haben ihren knackenden Panzer. Der Mensch wird nackt geboren, seine Kleidung wächst ihm nicht auf der Haut, er fertigt sie aus fremden Häuten an, nicht weil er besonderen Wert auf Anstand legt, sondern aus Notwendigkeit. Dass wir uns bekleiden, macht uns nicht tugendhaft.«
»Ach nein? Und was ist Tugend?«
»Tugend ist das Ausführen lustvoller Handlungen.«
»Und Laster?«
»Laster ist das Unterlassen lustvoller Handlungen. Das Leben ist ganz einfach: Man wird geboren, man stirbt, und dazwischen heiratet man und kriegt Kinder.
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