Frau des Windes - Roman
Freundin, / nehme in seinem Haus den Ehrenplatz ein.‹
»Was haben denn seine Nachbarn gedacht, Max?«
»Das Gleiche, was sie über uns denken: dass er verrückt ist. Übrigens habe ich ihm ein Bild gewidmet. Le facteur Cheval .«
»Und wo hast du es?«
»Ich habe es Luise geschenkt.«
Auf der Rückfahrt von Hauterives liest Max, während Leonora ihre Nase an die Fensterscheibe drückt und sieht, wie Kinderhände dem vorbeifahrenden Zug winken. Kaum hat sie die Augen geschlossen, wird sie von einer Stimme wie aus einem Tunnel geweckt: ›Saint-Martin d’Ardèche‹
Leonora respektiert das häufige Schweigen ihres Geliebten und vertreibt sich die Zeit mit Erinnerungen an die schönsten Momente in ihrem Leben in Crookhey Hall: an den Tag, als sie zum ersten Mal auf einem gefrorenen See Schlittschuh gelaufen ist, oder an den Abend, als sie sich gemeinsam mit dem Sohn des Chauffeurs im Wagen des Vaters mit Warmbier betrunken hat. Am nächsten Tag musste sie sich in Gegenwart mehrerer Gäste auf dem Tennisplatz übergeben.
Aufgeregt klopft Alphonsine an die Tür.
»Unten steht eine Person, die behauptet, Ernsts Frau zu sein«, verkündet sie. »Sie hat versucht, mir den Topf aus der Hand zu nehmen, und hat gesagt: ›Ich bringe ihm seinen Café au lait nach oben.‹ Das habe ich ihr aber nicht erlaubt.«
»Mist!«, ruft Max, der gerade aufwacht. »Ich gehe runter zu ihr.«
Leonora wartet drei Stunden.
Schließlich kommt Alphonsine ins Zimmer, um ihr zu berichten, was sich unten im Lokal abgespielt hat.
»Er ist mit ihr zum Fluss gegangen.«
»Was?«
»Ja, als Erstes hat er sie gefragt, was sie hier will. Sie schien nicht wütend zu sein und hat ihn gebeten, mit ihr spazieren zu gehen. Dann haben sie Arm in Arm den Weg zur Ardèche eingeschlagen.«
»Arm in Arm?«
Endlich kommt Max zurück.
»Ich muss sie zu einer Tante in Valence, hier in der Nähe, begleiten, um sie zu beruhigen. Sie hat mir versprochen, uns in Frieden zu lassen, wenn ich drei Tage bei ihr bleibe.«
Max’ Schwäche trifft Leonora hart. Ihre Nasenflügel zittern, als er wiederholt, Marie Berthe verlange nur drei Tage, drei Tage seien doch nichts, die vergingen wie im Fluge.
»Und ich?«, schreit Leonora.
»Drei Tage. Du und ich, wir haben noch das ganze Leben vor uns. Sie weiß inzwischen, dass ich sie verlassen werde.«
Leonora mustert ihn von oben bis unten, während er sie bittet, hier auf ihn zu warten; er wird seine Ehefrau nach Valence begleiten, es geht ihr sehr schlecht. Leonora gehe es nicht so schlecht, sagt er, im Gegenteil, sie vertrage einiges. Marie Berthe indessen sei verzweifelt. Leonora wird wütend, sagt, er könne seine Frau doch zum Bahnhof bringen und in den Zug setzen. Wenn sie es bis hierher geschafft habe, sei sie auch kräftig genug, um allein wieder abzureisen.
Dann kriecht die Schlange der Angst in ihr hoch. Marie Berthe wird Max einfangen, ihn mit allen Mitteln daran hindern, zurückzukommen. Und Max wird sie verlassen, nicht seine rechtmäßige Ehefrau. Sie wird den Kürzeren ziehen, sie, die Engländerin; die Französin, die zu Max gehört, die hier in ihrem eigenen Land ist, die Max unterhält, hat jetzt schon gewonnen. ›Maurie, Mama, wo bist du? Maurie, hilf mir, Mama, was soll ich tun?‹ Und ihre Mutter hilft ihr, indem sie sie wütend macht.
»Wenn du gehst, Max, bin ich weg.«
Erhobenen Hauptes wirft sie es ihm an den Kopf. Nein, dieser Deutsche wird sie nicht demütigen. Wenn er sich dumm stellen und glauben will, er werde zurückkommen, ist das seine Sache. Leonora ist eine Stute, die sich aufbäumt, ihre Vorderbeine sind zum Angriff bereit. Vor dem zornigen Wiehern der Engländerin weicht Max zurück.
»Hältst du mich für blöd?«, schreit sie.
Alphonsine steckt den Kopf zur Tür herein:
»Ihre Frau läuft hin und her wie ein Tiger im Käfig.«
»Ich verspreche dir, dass ich in drei Tagen zurück bin, kleine Leonora«, sagt er und umarmt sie.
»Nenn mich nicht klein, ich bin kein dummes Ding. Wenn du gehst, gehe ich auch, aber in die andere Richtung.«
»Wohin? Was wirst du tun?«
»Das ist meine Sache«, erwidert sie zornig und fragt sich, ob sie eine Arbeit als Putzfrau bekommen könnte.
»Warte auf mich!«
»Hau ab.«
Sein gebeugter Nacken ist das Letzte, was Leonora von ihrem Geliebten sieht. Sein Mantel hängt noch an der Tür, gerade will Leonora ihn daran erinnern – ›Max, dein Mantel!‹ –, dann aber starrt sie den Mantel nur an, als würde das Kleidungsstück sie
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