Frau des Windes - Roman
wilden Panther hypnotisiert? Bei Drusilles Überraschungsnummer werden alle staunen.«
»Aber diese Drusille soll doch eine Schraube locker haben«, protestiert Fonfon. »Hoffentlich zerdeppert sie mir nicht mein ganzes Geschirr. Ihre Mutter hat sie verlassen, und ihr Vater schläft den ganzen Tag und schließt sich nachts zum Lesen in seiner Schlossbibliothek ein.«
»Keine Sorge, Max hat Drusille gezähmt«, sagt Leonora.
»Und was soll ich machen?«, fragt Fonfon.
»Vielleicht kannst du als Zwerg auftreten. Zieh dir auf jeden Fall dein bestes Kleid an, heute wirst du viel Wein verkaufen«, rät ihr Max.
Er hat recht. In Dörfern ist normalerweise nicht viel los, in diesem hier sind Leonora und Max von morgens bis abends in aller Munde, man erzählt sich jede Kleinigkeit, ob sie nun Hand in Hand zum Fluss hinuntergegangen sind, ob sie Käse und zwei Flaschen Wein gekauft haben … Natürlich werden in Scharen Zuschauer herbeiströmen, um den Wundern beizuwohnen.
Immer mehr Leute füllen das Café. Max ist ein grandioser Schauspieler. Leonora mimt eine Kranke, Max den Chirurgen. Sie jammert und hält sich mit beiden Händen den Bauch. In ein Laken gehüllt, legt sie sich auf den Tisch, und Max verwandelt das Café in einen Operationssaal und schneidet ihr mit einem Messer den Magen auf. Leonora stöhnt vor Schmerzen, während Doktor Ernst nacheinander Tomaten, Nägel, einen Hammer, Bohnen, Äpfel, Ketten, Schuhe, einen Wecker, Auberginen und Würste aus ihrem Bauch zieht; die Würste steckt er sich in den Mund und lutscht daran, nachdem er sie dem Publikum gezeigt hat. Zu guter Letzt holt er noch Luftschlangen aus dem Leib der Patientin hervor und wirft sie in den Raum. Die auf wundersame Weise geheilte Leonora springt vom Operationstisch, hüpft barfuß umher, verbeugt sich, und die Zuschauer applaudieren.
»Leonora, bleib stehen«, befiehlt Max der Engländerin, woraufhin sie ihr Laken zu Boden gleiten lässt und das Publikum verstummt. Niemand rührt sich.
Keine Frage, das Paar ist etwas Besonderes: er, groß, mit Adlergesicht und einem Heiligenschein um das weiße Haar, sie, schlank, hochaufgeschossen, zerbrechlich, mit glühenden Augen, die schwarzen Locken so dicht wie ein Vogelnest. Es geht das Gerücht, auch Drusille, die verrückte Tochter des Vicomte, werde auftreten, und die Ankündigung schürt die Lüsternheit der Bauern, die behaupten, sie hätten sie nackt ihre Tiere auspeitschen sehen.
Das große Finale naht, die Spannung im Publikum erreicht ihren Höhepunkt, man bestellt noch eine Flasche Wein, Drusille indessen lässt auf sich warten, Max, dem die blaue Farbe vom Gesicht tropft, unterhält die Leute, bis schließlich ein Pfiff aus der Küche ertönt. Da legt er eine Schallplatte aufs Grammofon, und auf die Bühne stürmt Drusille mit einem wild gewordenen schwarzen Ziegenbock. Die Amazone trägt ein Lederkorsett und bis übers Knie reichende schwarze Stiefel. Der Ziegenbock stellt sich auf die Hinterbeine, das Publikum erstarrt. Plötzlich, beim Versuch, Reißaus zu nehmen, macht er einen wilden Satz aufs Grammofon zu, das in die Zuschauermenge fliegt, und schleift die Vicomtesse de Guindre bäuchlings hinter sich her.
Mit Flaschen, Gläsern, Hüten und Stühlen schmeißt das Publikum nach den beiden, und im Tumult aus Glasscherben und umgestürzten Stühlen schreit einer: »Ich bin der Harlequin des Festes« und wiegt sich in den Hüften.
»Ich bin Blaubart und suche eine neue Frau«, grölt ein dicklicher Mann.
Pierre, der Winzer, ist ein Dandy im Gehrock und hebt immer wieder sein Weinglas in die Höhe. Dann ergreift er Fonfons Hände:
»Du bist keine Bäuerin, du hast die Hände einer Prinzessin, ich werde dir einen Diamanten schenken.«
Er fällt auf die Knie und erklärt, er sei der Premierminister von Frankreich.
»Wo ist die Vicomtesse?«, fragt der alte Matthieu.
Auch der Ziegenbock ist verschwunden.
»Die Leute lassen ihrem Unbewussten freien Lauf, sie sind Quasimodos auf einem Irrenfest«, beruhigt Max Leonora, die vergeblich nach der satanischen Amazone und ihrem Ziegenbock Ausschau hält. »Mach dir keine Sorgen«, flüstert er ihr ins Ohr, »morgen gehen sie wieder in ihre Weinberge, zum Fluss, zu den weißen Steinen, zu den Auberginen und den Kaninchen, die jetzt mit angelegten Ohren flüchten. Und was Drusille betrifft, vorhin habe ich ihr Pferd über die Brücke galoppieren hören, sie müsste schon am letzten Hang vor ihrem Schloss angekommen sein.«
Auf dem
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