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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Holzofen setzt Leonora einen Topf mit Pflaumen, Pfirsichen und Quitten auf.
    »Zu Ehren Aphrodites werden wir jede Nacht vorm Schlafengehen in eine Frucht beißen«, sagt Max.
    Leonora läuft zwischen Weinbergen und Küche, zwischen Staffelei und Speisekammer hin und her. Kochen wird Teil des Liebesaktes. Essen bedeutet, sich zu erholen, um mit frischer Kraft erneut ans Werk zu gehen.
    Leonora weiß, dass das Haus ihr Körper ist, die Mauern sind ihre Knochen, das Dach ist ihr Kopf, die Küche ihre Leber, ihr Blut und ihr Herz. Die Wände des Hauses umarmen sie, und sie streichelt sie, wenn sie die Treppe hinaufgeht, wenn sie den Kartoffelsack in die Ecke stellt, wenn sie morgens das Fenster öffnet.
    Aus Paris trifft Leonor Fini mit einem schweren Koffer ein, in Begleitung von André Pieyre de Mandiargues. Im Schlafzimmer im ersten Stock lassen sie sich nieder und verteilen überall ihre exzentrischen Kleidungsstücke. Hätte sie nicht so ein Knabengesicht, würde Leonora von der Argentinierin und ihren Monologen über den Marquis de Sade nichts wissen wollen. Sie spricht ein schnurrendes Französisch mit italienischem Tonfall und einem Akzent, der an Buenos Aires denken lässt. Täglich verblüfft sie mit neuen skurrilen Einfällen, die jeder Logik entbehren.
    »Ich kann nicht baden«, sagt sie, »die Seife ist durchs Fenster verduftet.«
    Sie glaubt fest daran, dass die Gegenstände sich aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit sträuben, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen. So wie die Seife verschwindet, steht Max’ Fahrrad eines Tages ohne Räder da oder verflüchtigen sich aus sämtlichen Kopfkissen die Federn.
    »Warum hast du das Bett nicht bezogen?«, fragt Max vorwurfsvoll.
    »Natürlich habe ich es bezogen«, entrüstet sich Leonora, und Fini lacht schnippisch.
    »Die Laken sind jetzt die Segel meines Segelboots, ich habe sie mit aufs Dach genommen, um zu sehen, ob sie fliegen.«
    Genau wie Leonora und Max steigt sie zum Sonnenbaden auf die Dachterrasse.
    »Diese Pariser lieben es, Adam und Eva zu spielen«, stellen die Dorfbewohner fest.
    André Pieyre de Mandiargues schreibt im Lotussitz und schwärmt von den versponnenen Ideen der Argentinierin, die ihn vor lauter Begeisterung zum Stottern bringen. Leonora fragt ihn, was er gerade mache, und er antwortet, er lese die erotische Schrift der Vögel am Himmel. Alle naselang erkundigt er sich: »Um wie viel Uhr essen wir?« Fini kümmert sich um die acht Katzen, die mehrere Liter Milch am Tag verputzen, obwohl Leonora ihr erklärt hat, man dürfe den Tieren nur mit Wasser verdünnte Milch geben.
    »Warum kaufen wir keine Kuh und halten sie im Garten?«, schlägt Fini vor.
    »Also hör mal, wir sind hier nicht in der Pampa«, protestiert Max.
    »Dieser Platz ist ideal zum Aquarellieren«, verkündet sie und nimmt den Tisch in Beschlag. »Schau mal, Leonora, Aquarelle machen, was sie wollen. Man braucht nur dem gemalten Wasser zu folgen, es findet seinen Weg von allein, nimmt einen mit, wohin es will, und dabei kommt etwas Unerwartetes und viel Schöneres heraus als das, was man geplant hat.«
    Fini macht sich im ganzen Haus breit, stellt nach Belieben ihre Staffelei auf, verlässt die Leinwand aber schon nach kurzer Zeit wieder und kehrt zum Aquarell zurück.
    »Wir essen gleich, räum bitte deine Sachen weg«, sagt Leonora.
    »Ich will dich malen, Leonora, aber hier im Haus, damit ich nicht mit Max wetteifere, der dich mitten im Dschungel gemalt hat.«
    Was Leonora an Fini gefällt, ist das Unvorhersehbare. Zwar stellt sie gemeinsam mit den Surrealisten aus, doch sie gehört ihnen nicht. »Ich bin ich«, sagt sie, als wolle sie Jahwes Worte an Moses wiederholen: ›Ich bin, der ich bin.‹ Leonora sei eine echte Revolutionärin, behauptet sie und porträtiert sie als Mann-Frau-Wesen, als geheimnisvolle, altertümliche Johanna von Orléans, den Oberkörper von einer schwarzen Brustrüstung verhüllt: La chambre noir . Die anderen beiden Frauen im Bild, nackt und Hand in Hand, treten kaum aus der Dunkelheit hervor.
    »Ich sehe aus wie eine mittelalterliche Statue.«
    Mittlerweile gefällt es auch André Pieyre de Mandiargues, die Hüllen fallen zu lassen. Er möchte nackt zum Fluss gehen.
    »Zieh dich lieber dort aus«, rät ihm Max.
    »Ach, mich sieht schon keiner, ich fahre mit Leonoras Fahrrad hin.«
    »André, die französische Provinz ist konservativ.«
    In der Küche beugen sich die beiden Leonoras über das Gebrodel in den Töpfen, werfen Gartenkräuter,

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