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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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die Gattung Mensch sei der Gattung Pferd nicht überlegen, überzeugt ihn das.

Das Heilige Grab
    Harold Carrington lässt seine Tochter in die Bibliothek rufen.
    »Deine Mutter und ich haben beschlossen, dich ins Kloster zu schicken. Dort wirst du zur Schule gehen.«
    Ein Kind hat keine Macht. Haben die Erwachsenen erst einmal ihre Entscheidung getroffen, zeigen sie nur noch mit dem Finger auf die Tür und sagen: »Ab ins Kloster.«
    »Deine Erziehung ist mühsamer als die deiner Brüder«, sagt Maurie und fügt etwas milder hinzu: »Mit Strenge erzieht man Kinder, mit Nachsicht verzieht man sie.«
    Das Kloster vom Heiligen Grabe ist ein Palast, von Heinrich VIII . in Newhall, in der Stadt Chelmsford, erbaut.
    Im langen Schlafsaal ist es unbehaglich. Die Fenster sind schmal und man kann nicht nach draußen sehen, es sei denn, man steigt auf einen Stuhl, aber Stühle gibt es keine außer dem der Aufseherin, die seit tausend vor Christus darauf hockt. Entlang der beiden Seitenwände stehen die Betten mit den schmalen Matratzen und den harten Kopfkissen, durch Vorhänge aus linoleumähnlichem Stoff getrennt. Nach dem Bekreuzigen am Morgen leeren die Mädchen als Erstes ihre Nachttöpfe aus.
    »Beklagt euch nicht. Wir Novizinnen schlafen auf einem Brett auf dem Boden, und in der Karwoche fasten wir aus Liebe zu Jesus Christus und setzen uns eine Dornenkrone auf. Schau, hier sind die Narben«, sagt eine Novizin zu Leonora.
    »Ruhe!«, befiehlt die Mutter Oberin.
    Was macht man nur mit der Stille? Anfangs schluckt Leonora sie häppchenweise. In Crookhey Hall hat sie mit Gerard und Nanny gesprochen. Jetzt weiß sie, dass Stille Einsamkeit ist.
    Im Refektorium stehen Tische so lang wie die Fastenzeit. Schwestern mit Haube und Schürze tragen eilig das Essen auf. Am Ende der Tafel sitzt die Mutter Oberin und liest aus der Bibel vor. Nur das Schaben der Löffel über den Boden der Suppenteller ist zu hören. Wie gut, dass die Schwestern so blitzschnell servieren, denn das Refektorium ist eine Qual.
    »Gerade habe ich einen Greif gesehen.«
    »Hier gibt es keine Greife«, erwidert die Nonne ärgerlich.
    »Doch, in den Ecken der Kapelle … Vielleicht sitzt dort Pater Carpenter, halb Löwe, halb Adler.«
    Die Ordensschwestern schrumpfen unter ihrer schwarzen Tracht, Leonora findet, sie sehen wie Wildschweinrücken aus.
    Als sie im Unterricht lernt, dass Moses das Meer geteilt und Josua die Sonne angehalten hat, bevor sie den Zenit erreichte, denkt sie: ›Das kann ich auch.‹
    »Wir müssen dir die Haare abschneiden. In deinem Haar sitzt deine ganze Eitelkeit.«
    Tiefschwarze Locken kringeln sich auf dem Boden, und Leonora laufen die Tränen herunter, die sie wie gewohnt mit einer Strähne abwischen will, aber dafür ist ihr Haar nicht mehr lang genug. Da hat die Nonne Mitleid.
    »Hübsch siehst du aus mit dem neuen Schnitt«, sagt sie beschwichtigend.
    »Scheußlich sehe ich aus.«
    Nanny, wo bist du?
    Die Heiligen und Märtyrer in der Kapelle sind Fabelwesen, die von Sockel zu Sockel fliegen. Ein Löwe, der im römischen Kolosseum eine der ersten Christinnen verschlingen will, hält unter der Kraft ihres Blickes inne und legt sich, statt sie zu fressen, reumütig weinend vor ihr nieder. Die Statue des heiligen Patrizius öffnet Leonora die Arme, die heilige Ursula weint Meerwassertränen, und im Kloster erzählt man sich von einer Ordensschwester, die nur der Herr Bischof besucht. Sie hat Wundmale, und jedes Jahr in der Karwoche springen die Nagelwunden an ihren Händen und Füßen auf, und aus ihrer Seite fließt zähes, schwarzes Blut.
    Leonora verbringt viele Stunden in der Kapelle, kniet ehrfürchtig vor den Heiligen nieder, und am Altar schließt sie die Augen. Sie ist sich vollkommen sicher, dass ihre Füße nicht mehr den Boden berühren.
    »Ehrwürdige Mutter, gerade bin ich geschwebt«, berichtet sie der Mutter Oberin mit zusammengekniffenen Augen. Sie sagt ihr auch, dass sie nachts die Pflanzen wachsen hört und im Weihwasserbecken einen winzigen Tiger auf einem Floß hat rudern sehen.
    »Wenn ich ins Kloster gehe und meine Gelübde ablege, werde ich dann eine Heilige?«
    »So ein ungehorsames und großspuriges Mädchen wie du kann unmöglich eine Heilige werden!«
    »Johanna von Orléans ist meine Inspiration, ich glühe vor Leidenschaft wie sie.«
    »Das gibt dein Hochmut dir ein.«
    Der ehrwürdigen Mutter macht das Mädchen Angst, sein Verhalten lässt die glatte Oberfläche ihrer Gewissheiten erbeben. Im

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