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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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sagen Sie ja selbst.«
    »Nein, das ist er nicht, aber er hat meine Brüder stets bevorzugt und mich links liegen lassen, weil ich ein Mädchen war. Im Haus ist er der Herr, und seine Anwesenheit schüchtert alle ein. Ich erinnere mich, dass wir, als ich klein war, immer mit Spielen aufhörten, wenn er den Raum betrat.«
    »Warum können Sie Ihrem Vater nicht gehorchen.«
    »Weil etwas in mir mich daran hindert. Als ich ihm sagte, ich würde mich langweilen, hat er mir geantwortet: ›Züchte Foxterrier‹, so als wäre das Abrichten von Hunden die Lösung des Problems. Ihn hätte es glücklich gemacht, wenn ich einen reichen Mann geheiratet hätte und sonntags zur Messe ginge.«
    »Und warum erwarten Sie hier in der Heilanstalt eine Sonderbehandlung?«, fragt Luis Morales mit spöttischem Unterton.
    »Weil ich etwas Besonderes bin. Darf ich rauchen?«
    »Ja.«
    Obwohl Rauchen in der Heilanstalt verboten ist, gibt er ihr Feuer.
    »Ursprünglich fühlte ich mich zum Priester berufen, habe mich dann aber für die Medizin entschieden.«
    »Ein Glück, dass Sie Arzt geworden sind, ich hasse Priester! Und wenigstens tun Sie nicht so fromm und heilig. Außerdem gefallen Sie mir als Mann.«
    »Begehren Sie mich?«
    Diese Frau mit ihrem außergewöhnlichen Innenleben und ihrer Schönheit ist ein Geschenk Gottes. Er bewundert ihren Unabhängigkeitsdrang und ihre Haltung zu sich selbst. Eher gewohnt, Patienten zu behandeln, die Opfer bestimmter Umstände sind, ist er von Leonora überwältigt. Sie ist ein ganz besonderer Fall. Don Luis lächelt sie an. Sie weiß nicht, ob sie zurücklächeln soll.
    Sie versucht, etwas zu sagen, aber etwas anderes kommt heraus. In ihrem Mund sammelt sich Spucke. ›Dieser überlegene Mann, ein Gott, Arzt und Analytiker, soll mich in Ruhe lassen!‹
    »Schluss jetzt mit den Verhören«, sagt sie und steht auf, nervös. »Ich muss nachdenken, um die Lösung zu finden. Gestern hätte ich sie fast gehabt.«
    Was will dieser Mann von ihr? Warum entreißt er ihr alles Vertraute. In diesem Moment hat sie die Gewissheit, dass Morales ihr wehtun will.
    »Lassen Sie mich, lassen Sie mich! Begreifen Sie denn nicht, dass ich auf den weißen Steinen von Saint-Martin d’Ardèche in der Sonne lag?«
    »Dass Sie verwirrt sind, ist völlig normal«, sagt der Arzt lächelnd. »Wir müssen ein wenig Geduld haben.«
    Er wendet sich ab, und die Krankenschwester nimmt Leonora beim Arm.
    Gelegentlich tauchen andere Anstaltsinsassen auf, betrachten sie durch die Glastür, kommen ins Zimmer. Der Fürst von Monaco grüßt sie mit einer Verbeugung und streckt dabei seine leichenblasse Hand in die Höhe. An manchen Tagen besucht sie der Marquis Da Silva, ein enger Freund von Alfonso XIII . und Franco, stolziert in ihr Zimmer, als trage er eine Krone auf dem Kopf, und wenn er ihr die Hand reicht, kann Leonora seine abgekauten Fingernägel sehen.
    »Er kaut seine Nägel, weil er heroinsüchtig ist«, sagt José. »Man hat ihm Cardiazol gespritzt, und er dachte, er sei von einer Spinne gebissen worden.«
    »Sie sind doch ein Freund von Franco«, sagt Leonora zum Marquis Da Silva, einem Mann von angeborener Eleganz. »Ich muss unbedingt mit ihm sprechen. Besorgen Sie mir einen Termin! Falls es klappt, wird der Krieg enden.«
    Für Leonora ist das eigene Leben aufs Engste mit dem Schicksal der Welt verwoben; sie ist die Erde, ihre Arme sind Olivenbäume, die sich gegen den Nationalsozialismus erheben. Nicht sie hat man eingesperrt, man hat England, Frankreich und Spanien ins Irrenhaus gesteckt. Die Regierungen sind der Inbegriff aller Egoismen, die Europa zugrunde gerichtet haben. Sie wollen den Menschen das Gleiche antun, was Harold Carrington ihr angetan hat. Ihr Kampf richtet sich gegen Unterdrückung. Man muss sie losbinden, dann wird sie wieder die Windsbraut sein und auf ihren Armen die Länder an einen sicheren Ort über den Wolken tragen.
    Der Fürst von Monaco mit seiner Adlernase und seinem wirren Blick hat bei sich in der Villa Pilar eine Schreibmaschine und ein Radio. Von früh bis spät tippt er mit zwei Fingern Briefe an Diplomaten und lädt Leonora ein, Radio Andorra zu hören.
    »Warum hängen bei Ihnen so viele Landkarten an der Wand? Werden Sie für immer hier bleiben?«
    Leonora versucht, die Strecke wiederzufinden, die sie von Saint-Martin d’Ardèche bis nach Spanien zurückgelegt hat, und der Marquis sagt, wenn sie wolle, dürfe sie sie mit einem roten Stift einzeichnen.
    »Damit Sie wissen, wie Sie

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