Frau Ella
Filmdiva! Wer sonst würde in ihrem Alter hier morgens in so einem Aufzug rumlaufen? Jetzt wurde ihm klar, dass Klaus es offenbar genau darauf anlegte, wie er da gockelhaft an ihrer Seite ging und mit seinem Blick signalisierte, dass man sich ihnen lieber nicht näherte. Entsprechend höflich begrüßte sie der Türsteher, den sie schließlich passierten, um einen der Läden zu betreten. Ein schummrig glänzender Palast aus schwarzem Marmor, in den golden leuchtende Vitrinen eingelassen waren.
»Madame«, säuselte ein Model, das wie aus dem Nichts auftauchte und auf sie zuschwebte. »Bonjour! Eine Schale Champagner zur Begrüßung?«
»Was haben Sie denn da?«, rotzte ihr Klaus regelrecht entgegen. »Hoffentlich keine kalte Witwe Klickenberg?«
»Dom Pérignon«, lächelte das Model. Ihre Beine waren so lang, dass Sascha sich fragte, wie sie überhaupt noch Kopf und Oberkörper haben konnte, ohne an die Decke zu stoßen. Und was für einen Oberkörper!
»Machen Sie mal gleich drei randvoll«, sagte Klaus, und das Model schwebte zart lächelnd von dannen. »Das Schönste ist, dass sie immer freundlicher werden, je schlechter man sich benimmt. Daran erkennt man in der Szene, wie reich man wirklich ist.«
»Was machen wir hier eigentlich?«, fragte Sascha.
»Haben Sie das gehört, Frau Ella?«, rief Klaus in die Stille des Tempels. »Er fragt, was wir hier machen! Als wäre das normal, dass Sie in diesem Outfit rumlaufen! Alter, wir gehen ein bisschen shoppen mit unserer Herzdame!«
Er suchte Frau Ellas Auge im Halbdunkel.
»Er meinte, ich sei eine Dame«, sagte sie entschuldigend. »Ich finde Ihre Kleider ja sehr gemütlich.«
»Signora, Sie sind eine Dame!«, rief Klaus. »Und hier kommt der Schampus!«
Das Model erschien mit einem Kellner im Gefolge. Ein richtiger Ober, der nur darauf wartete, irgendwelchen Wahnsinnigen Champagner zu servieren! Dienstagmorgens! Was konnte er von der Welt wissen, wenn es mitten in seiner Stadt so etwas gab?
»Und Sie könnten sich mal Gedanken darüber machen, was Madame heute zu einer kleinen Landpartie anziehen könnte. Gerne etwas Klassisches. Und bitte enttäuschen Sie uns nicht«, sagte Klaus zu dem Model. »Und jetzt erst mal Prost!«
Kurz darauf erschien das Model wieder, bat ihn und Klaus, in zwei schwarzledernen Sesseln Platz zu nehmen, und führte Frau Ella in den hinteren Teil des Ladens. Vielleicht gab es da ja etwas mehr Licht, in dem man sehen konnte, ob einem die Klamotten passten.
»Sag mal, was ist denn das für ’ne Aktion?«, flüsterte er. »Ist sie jetzt so ’ne Art Spielzeug von dir?«
»Kladderaquatsch«, sagte Klaus. »Ich werd mit dem Erbe meiner Oma ja wohl noch einer Dame eine kleine Freude machen dürfen.«
»Als gäbe es keine anderen Klamottenläden in dieser Stadt als diesen Sektentempel!«
»Alter, das ist kein Tempel, das ist feinstes italienisches Design! Dafür morden andere!«
»Sag ich ja, eine Sekte. Und was hast du noch mit ihr vor?«
»Mit euch.«
»Was?«
»Na, mit ihr und dir, den beiden Einaugen, den Kranken, den Aussätzigen, den vom Schicksal Gezeichneten. Ihr werdet heute verwöhnt, bespaßt, gekrault. Wie wär’s mit einem neuen Gürtel für dich?«
»Hör bloß auf. Mein Gürtel ist vollkommen in Ordnung. Also, wohin geht die Reise?«
»Na raus halt. Landpartie mit allem Schnickschnack. Was macht eigentlich das Auge?«
»Juckt«, sagte er und stürzte den Rest Champagner hinunter. Sie schwiegen. Er versuchte, gut gelaunt zu sein. Dann erschien plötzlich die Fürstin von Monaco.
»Mein Gott, Frau Ella! Hab ich Sie mir schon schön getrunken oder sind Sie eine gottverdammte Grazie vorm Herrn?«, rief Klaus.
»Gefällt es Ihnen wirklich?«
Sascha konnte kaum glauben, was er da hörte und sah. Die kleine hutzelige Alte hatte sich komplett verwandelt in eine mondän daherschreitende Dame, das verbundene Auge versteckt hinter einer gigantischen Sonnenbrille, die Haare bedeckt mit einem fein gemusterten Tuch. Selbst im Halbdunkel des Geschäftes strahlte sie sommerlich. Er wusste, dass er dem Schein der Kleider erlag, doch das änderte natürlich gar nichts.
»Na dann«, rief Klaus, »wollen wir mal meine Oma zur Kasse bitten und uns auf den Weg machen!«
7
JETZT WAR SIE NOCH IMMER NICHT zu Hause. Ihre Wangen glühten. Was für ein Ausflugslokal! Direkt am See gelegen, die Kellner in Schwarz und Weiß, alles so sauber und keine einzige Wolke am Himmel. Bei der Erinnerung an die Fahrt in diesem Cabriolet musste
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