Frau Ella
Abend.«
»Sie wissen nicht, wo Ihre Freundin ist?«
»Meine Frau.«
»Oh«, sagte Frau Ella. Das hätte sie nun nicht erwartet.
»Ist nur wegen der Steuer.«
»Aha«, sagte sie.
»Klaus verdient ganz gut«, erklärte Sascha ihr. »Ute eher nicht, deshalb ist sie jetzt seine Frau, und er zahlt weniger Steuern und hält sie dafür über Wasser.«
»Früher war so eine Ehe für Männer ja eher teuer«, sagte sie und überlegte, ob das auch wirklich stimmte. Woher sollte sie das wissen? Um das Geld hatte sich immer Stanislaw gekümmert »Und für die Brauteltern. Ist Ihre Tina denn auch so eine Steuerfrau?«
»Lina«, sagte Sascha nicht besonders freundlich.
»Entschuldigen Sie, natürlich, Lina.«
»Unter der Steuerfrau würde ich nicht anheuern«, lachte Klaus. »Die findet jede Untiefe, selbst im Mariannengraben.«
»Sehr witzig, Klaus, sehr, sehr witzig«, sagte Sascha, wieder mit seinem beleidigten Blick.
»Wie lange ist die eigentlich noch bei den Toreros? Ute meinte, sie käme demnächst heim ins Reich«, sagte Klaus.
»Mann, Alter, ist gut. Das ist vorbei, passé, von gestern, obsolet, aus der Mode, in der Kiste.«
»Das glaub ich erst, wenn ich’s sehe, dass du da keinen auf Recycling und Revival machst.«
Das war nun wieder gar nicht gut zu verstehen, was Klaus da sagte. Manchmal übertrieb er es mit seiner seltsamen Sprache.
»Ist es nicht schön, wenn einem der beste Freund so richtig etwas zutraut?«, fragte Sascha.
»Ich traue Ihnen alles zu, mein Junge. Sie dürfen nur nicht immer so gucken.«
»So wie gucken?«
»Na, so traurig, oder beleidigt, so als wollten Ihnen alle nur Böses.«
»Ich gucke so, als wollten mir alle immer nur Böses?«
»Hin und wieder«, sagte sie, und er musterte sie mit seinem braunen Auge.
»Sie haben recht«, sagte er endlich. »Das geht nicht. Ich sollte mehr trinken. Prost. Auf Sie, Frau Ella!«
»Prost«, lachte sie und hoffte, dass sie die Tränen zurückhielt, so schön war das alles, bis auf diese Geschichte mit Saschas Freundin. Auch dafür würde sich eine Lösung finden.
»Noch einen Grauburgunder!«, rief Klaus in Richtung des Kellners. Der brachte den Wein und, kurz darauf, auch das Essen. Ihr erster Spargel seit wie vielen Jahren? Selbst nach seinem Tod hatte sie ihm die Treue gehalten, ihm und seiner Abneigung gegen die Stängel. Wie unsinnig! Er würde es ihr schon nicht übelnehmen, dass sie sich von den beiden jungen Männern ein wenig verwöhnen ließ.
»Prost, Sie beide«, sagte sie. »Auf Sie und Ihre Steuerfrauen!«
»Prost, Frau Ella! Auf die Franzosenstängel!«, rief Klaus.
»Guten Appetit«, sagte Sascha und reichte ihr die silbern in der Sonne glitzernde Sauciere.
»Danke, mein Junge«, sagte sie und erinnerte sich plötzlich daran, wie Frau Karstens sie gebeten hatte, nicht Tunke, sondern Sauce zu sagen, einfach zu vergessen, was man ihr auf der Schule beigebracht hatte. Was für ein schreckliches Wort, hatte Frau Karstens gesagt. Man wolle das Fleisch ja schließlich nicht ertränken! Sie versuchte sich zu erinnern, wie man in der Schule die Sauciere genannte hatte. Tunkenschüssel? Das waren wirklich seltsame Dinge, an die sie die ganze Zeit denken musste.
Und was für eine Portion da vor ihr stand! Wieder hatte sie das Gefühl, nicht in der Wirklichkeit zu sein, sondern in einer dieser Fernsehgeschichten, in denen alles eben doch ein bisschen anders war, bunter, größer und schneller, als sie es kannte. Sie musste wieder an den Krieg denken. Auch da war plötzlich alles anders gewesen. Wildfremde Menschen waren da genauso selbstverständlich aus dem Nichts aufgetaucht wie jetzt ihre beiden Begleiter.
Aber das war doch nicht der Moment, an den Krieg zu denken. Nur weil ihr ein paar verrückte Dinge zustießen. Die Erinnerungen sollten weiter ruhen. Sie wollte einfach genießen, was man ihr bot. Der knusprig gebratene Rücken des Fleischs, dessen Saft sich mit der Sauce vermischte, rote Bahnen zog in das saftige Gelb, die schlanken Spargel, deren zarte, aber nicht zu weiche Köpfe sie mit der Zunge am Gaumen zerdrückte, die Kartoffeln, die vielleicht etwas kürzer im Wasser hätten bleiben können, die aber dennoch köstlich schmeckten. Sie würde sich Zeit lassen, um die ganze Portion zu schaffen.
Ihr Gesicht brannte. Sie wurde hin und her bewegt, vor und zurück. Sie hatte viel zu viel getrunken. Sauer stieß der Wein ihr auf, überdeckte den Geschmack der köstlichen Sauce, das zarte Fleisch und den Spargel. Das war
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