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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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Akzent, sah sich um und erblickte einen fast genauso breiten wie hohen Mann mit einem gigantischen Schnauzbart und schwarzen Locken, die fettig in der Morgensonne glänzten.
    »Das ist Frau Ella, oder vielleicht ein Gespenst.«
    »Guten Tag«, sagte Frau Ella.
    »Hallo, Madame«, lachte der Bauer. »Ich bin Kostas. Bobulina sieht gerade überall Gespenster. Das ist nicht persönlich gemeint. Kommen Sie herein. Ihnen muss doch schrecklich kalt sein, meine Dame. Morgens ist es noch sehr frisch.«
    In der Hütte, in die er sie führte, brannte ein kleines Feuer. Er setzte sie auf einen alten Schaukelstuhl, legte ihr eine staubige Decke um die Schultern und lächelte sie an.
    »Das ist aber ein Glück, dass Bobulina Sie gefunden hat! Mögen Sie vielleicht einen Kaffee, meine Dame?«
    »Gerne«, stotterte sie und merkte erst jetzt, wie durchfroren sie war. Was hatte sie da nur angestellt? Eine ganze Nacht auf einer Parkbank zu verbringen. Und das in ihrem Alter! Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebte, und darüber freute sie sich jetzt doch. Denn eins hatte dieses Leben für sich. Selbst an den seltsamsten Orten bekam man eine Tasse Kaffee angeboten.
    Der Bauer machte sich an der Feuerstelle zu schaffen, füllte Kaffeepulver in ein seltsames Gefäß, eine Art Kupferbecher mit viel zu langem Henkel. Das Mädchen saß ihr gegenüber und starrte sie mit großen Augen an. Sie schien zu überlegen, den Zeigefinger ihrer rechten Hand immer wieder im Mundwinkel, als hätte sie ein Rätsel zu lösen. Dann strahlte sie plötzlich.
    »Wenn du frierst, dann bist du kein Gespenst«, sagte sie. »Weil in Schlössern gibt es nämlich keine Heizung.«
    »Gespenster trinken auch keinen Kaffee«, sagte Frau Ella.
    »Ich trinke auch keinen Kaffee.«
    »Vielleicht bist du ja ein Gespenst.«
    Das Mädchen sah sie an, als sei sie nicht sicher, wie ernst das gemeint war. So war es ihr selbst mit Sascha und seinen Freunden auch immer wieder gegangen, wenn sie nicht sicher war, ob sie über die gleichen Dinge redeten und was sie davon hielten.
    »Das war nur ein Spaß, mein Kind.«
    »Aha«, sagte das Mädchen und grinste glücklich.
    Der Kaffee war wieder von einer ganz neuen Art, aber auch der schmeckte. Noch während der Bauer das Pulver aufbrühte, hatte sie entscheiden müssen, ob sie Zucker wollte oder nicht. Dann hatte er ihr eine winzig kleine Tasse serviert mit dem Hinweis, sie wegen des Kaffeesatzes nicht ganz auszutrinken. Das war schon allerhand. Den jungen Menschen war der Filterkaffee nicht mehr gut genug, und hier benahm man sich, als sei er nie erfunden worden! Auch wenn sie sonst nichts erlebt hätte in den letzten Tagen, allein die Kaffeegeschichten waren unglaublich genug. Und jetzt wusste sie immerhin, dass sie wach war. Diese einfache Holzhütte mit ihrer Feuerstelle und der Liege in der Ecke war wirklich. Sie saß hier in ihrem Nachthemd an einem alten Küchentisch mit diesem kleinen Mädchen und Kostas, dem griechischen Bauern, der eigentlich Türke war, wie er ihr erklärte. Nur wurde dieser Posten des Kinderbauern von einem Komitee vergeben, das keinen Türken als Nachfolger seines Vorgängers gewollt habe. Zu viele Mütter hätten sich beschwert über die Art seines Vorgängers, der vor den Augen der Kinder geschlachtet und kastriert und sich auch sonst etwas zu sehr wie ein richtiger Bauer aufgeführt habe.
    »Wissen Sie, Madame, eigentlich wollen diese Mütter einen Zoo und keinen Bauernhof. Die wissen gar nicht mehr, was das ist, ein Bauernhof. Unseren Hahn wollten sie sogar loswerden, weil er ihnen zu aggressiv ist. Dabei beschützt er nur seine Hennen. Ganz normal, oder? Aber alles, was normal ist, ist heute schlecht.«
    »Ja, natürlich«, sagte Frau Ella, die versuchte, all das richtig zu verstehen, was er ihr da erzählte. Sie dachte an die beiden Männer auf dem Hof ihrer Eltern. Was war da noch normal? Was gab es da zu verstehen? Die Welt war einfach verrückt geworden, und es war gar nicht nötig, dass sie alles und jeden verstand. Vielleicht sollte sie hier einfach am Feuer sitzen, der Stimme des Bauern lauschen und das Mädchen ansehen, während es draußen langsam wärmer wurde. Irgendwann würde sie sich dann auf den Weg machen. Ins Krankenhaus. Nach Hause. Aber erst wollte das Mädchen ihr noch die Hühner zeigen. Nur einen Moment musste sie noch ausruhen.

18

    DER STADTPARK ROCH NACH frühsommerlichem Müßiggang. Nur dass sie jetzt keine Zeit hatten, den Tag mit Frisbee, Grill und

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