Frau Ella
was da genau passiert ist? Soll ich vorgehen?«
»Lass mal. Ich glaube, ich muss da jetzt durch, verdammt. Schließlich habe ich keine Millionen für irgendein Kind verlangt und auch niemandem beim Sterben geholfen.«
»Hoffentlich«, hörte er Klaus sagen, doch da hatte er die Beifahrertür schon aufgestoßen und war ausgestiegen.
»Wenn ich in einer halben Stunde nicht wieder da bin, ist was schiefgegangen«, sagte Sascha und machte sich auf den Weg. Sollte Klaus sich überlegen, was dann zu tun war. Es würde schon nichts schiefgehen.
Gerade einmal fünf Tage war das her, eine lächerliche Woche, eine Arbeitswoche, seit er hier in ein neues Leben aufgebrochen war, ohne sich dessen bewusst zu sein. Aber welcher Entdecker hatte schon gewusst, was wirklich am Ende seiner Reise stehen würde? Er hoffte nur, dass er hier nicht im ewigen Eis endete oder als Opfergabe bei irgendeinem kannibalischen Südseestamm. Er wollte nur wissen, dass es Frau Ella gutging. Natürlich durfte sie auch wieder mit zu ihm in die Wohnung, wenn sie das wollte. Jetzt, da Lina wieder weg war. So schnell, wie sie aufgetaucht war. Erst einmal aber musste er Frau Ella überhaupt finden, damit man sich weitere Gedanken machen konnte.
Der Pförtner ignorierte ihn, als er vorsichtig lächelnd an seiner Loge vorbei in Richtung Fahrstuhl ging. Wenn er nicht doch genau jetzt unter seinem Tisch diesen roten Knopf drückte, der den Sicherheitsdienst alarmierte. Zumindest in den Fahrstuhl schaffte er es aber ohne Probleme und hoffte, in einem Rutsch bis in den vierten Stock zu kommen. Doch schon vor dem zweiten verlor der Fahrstuhl an Elan und kam schließlich zum Stehen. Die Türen glitten auseinander. Er versuchte, unauffällig in Richtung der Kabinenwand zu gucken, doch sie erkannte ihn sofort.
»Herr Hanke, sehen wir Sie auch mal wieder mal bei uns! Wie geht es denn Ihrem Auge?«, fragte die kleine, dicke, rothaarige Schwester fröhlich.
»Alles bestens.«
»Na, sehen Sie. Manche Dinge brauchen einfach ihre Zeit.«
»Natürlich. Sie hatten vollkommen recht.«
Zum Glück ging es dann ohne weiteren Zwischenstopp direkt in den vierten Stock, wo er sich schnell verabschiedete und in Richtung der Station ging, auf der er den Pfleger vermutete.
»Zur Nachuntersuchung geht es aber hier entlang«, hörte er die Schwester in seinem Rücken rufen.
»Ach so, natürlich«, stammelte er. »Die Macht der Gewohnheit, Sie wissen ja.«
»Dann mal weiter gute Besserung, Herr Hanke«, rief sie und verschwand durch eine der unzähligen Schwingtüren. Er wartete, bis die Tür ausgeschwungen hatte, und ging wieder in Richtung Station. Unglaublich, dass sie ihn nicht nur erkannt, sondern sich sogar an seinen Namen erinnert hatte. Und dass sie ihn wie irgendeinen normalen Expatienten behandelte, nicht wie einen Entführer hilfloser alter Damen. Frau Ella war wohl zu kurz auf Station gewesen, als dass man sich an sie erinnert hätte. Sie waren wahrscheinlich sogar froh gewesen, dass die störrische Alte einfach verschwunden war. Also hatte er doch genau richtig gehandelt, dachte er, während er sich dem Stationszimmer näherte und langsam an Selbstsicherheit verlor, sosehr er sich auch einredete, dass alles gutgehen würde.
Der Flur war jetzt wie ausgestorben. Ein einsames Bett stand verlassen an der Wand. Nur eine flackernde Neonröhre sorgte für ein kleines bisschen Leben. Der Geruch des Putzmittels brachte ihm die hier verlebten Tage mit einer leichten Übelkeit in Erinnerung. Er wollte fliehen, aber so ging das nicht. Man konnte nicht immer weglaufen. Er musste das jetzt mal durchstehen. Durch das Bullauge der Schwingtür zum Stationszimmer sah er den Pfleger. Er lag auf der Liege. Einen Prospekt auf dem Gesicht. Vorsichtig drückte Sascha die Schwingtür auf, trat in den Raum, schloss die Tür leise, ohne sie schwingen zu lassen. Ein Prospekt für Gartengeräte. Sollte er seine Hand auf den Prospekt drücken, auf den Rasenmäher, der in etwa auf Höhe des Mundes lag, und leise murmeln, dass er nichts zu befürchten habe, wenn er ihm sagen würde, wo Frau Ella war, und zwar schnell, dann würde ihm nichts passieren? Ihn anschließend mit Mullbinden an die Heizung fesseln? Konnte er noch zurück, jetzt da er einmal auf dem Weg des Verbrechens war? Da raschelte der Prospekt.
»Träume ich, oder sind Sie das wirklich, Herr Hanke?«, nuschelte der Pfleger verschlafen und setzte sich auf. »Das ist aber eine echte Freude. Wie geht es denn Ihnen und Ihrer
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