Frau Ella
funktionieren.
»Komm, lass uns einen Drink nehmen und nachdenken«, hörte er Klaus neben sich sagen. »So finden wir sie nie.«
Sascha sagte nichts, folgte Klaus aber am Kinderbauernhof vorbei in Richtung des Biergartens am See. Ein Esel quietschte hinter den Bäumen und erinnerte ihn an ihren Ausflug aufs Land. Da war alles einfacher. Da lebte man zusammen, half einander, lernte voneinander. Da war es schlicht unmöglich, dass eine alte Frau einfach verlorenging, da war die Welt noch in Ordnung, so, wie sie sich über Jahrhunderte entwickelt hatte. Die Stadt war das Problem. Dieser Hort egoistischer Blindheit. Man musste sich engagieren, etwas unternehmen, um die Gesellschaft zu verbessern, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Ja, das würde er tun, sobald sie Frau Ella gefunden hätten. Das musste doch irgendwie klappen, auch wenn Klaus vollkommen recht hatte. Wie sollten sie einen einzelnen Menschen finden, irgendwo zwischen all den Häusern? Sie brauchten definitiv einen neuen Plan.
Am Wasser in der Sonne sitzend, war es gar nicht so schwer, für einen Moment zu entspannen. Sascha war sich sicher, dass sie schon bald viel klarer sehen würden. Ob in der Stadt oder auf dem Land, es musste schließlich eine Lösung geben. Man durfte das Leben nicht so verbissen sehen. Sonst verkrampfte man bloß und verletzte sich, wenn man stürzte. Überhaupt gab es ja viele Wahrheiten, die gar keine Wahrheiten waren, die sich nur so eingebürgert hatten, wie irgendwelche Gräser aus Südamerika. Zum Beispiel wurde der erste Schluck Bier doch vollkommen überschätzt. Was sollte dieses Getue? Das zweite Weizen schmeckte doch eindeutig so viel besser als das erste. Man musste sich einfach entspannen. Das war gar nicht zu überschätzen, wie wichtig das war. Das musste er unbedingt aufschreiben.
»Echt nicht nötig, sich andauernd aufzuregen«, murmelte Klaus und rauchte in Richtung Sonne.
»Irgendwo wird sie schon sein«, sagte Sascha. »Das ist ja von der Logik her gar nicht anders möglich.«
»Vollkommen richtig. Gar nicht so leicht einzuschätzen, so eine Verantwortung, oder? Ich meine, stell dir mal vor, Frau Ella wär jetzt dein Kind oder so. Bleibt man entspannt oder muss man da dauernd auf die Barrikaden? Ich glaub, ich hab eben ein bisschen überreagiert. Da muss man echt auf sich aufpassen, sonst macht so Verantwortung ganz schräge Sachen mit einem.«
»Ich hatte auch richtig Panik. Faszinierend.«
»Zigarette?«, fragte Klaus träge.
»Ausnahmsweise«, murmelte Sascha und griff zu.
»Da gibt es bestimmt einen Plan, auf dem genau steht, wann wir sie wiederfinden, oder eben auch nicht. Bringt gar nichts, sich da aufzuregen. Ich glaube, Buddhisten sind echt glücklichere Eltern.«
»Was ist denn das eigentlich für ’ne neue Platte von wegen Eltern? Wirst du Vater, oder was?«
»Quatsch. Das sind nur so Meditationen. Ich meine, Frau Ella ist doch so eine Art Probekind, also erwachsen, aber doch hilfsbedürftig. Irgendwie inspirierend. Vielleicht werd ich erst mal Buddhist und dann Vater.«
»Dürfen die überhaupt Alkohol trinken?«
»Haben die gar nicht nötig.«
»Vielleicht mach ich da mit.«
»Wir beide im Himalaja. Das ist ja wohl die beste Idee seit langem. Spürst du schon die Vibrationen? Diese Sicherheit, die es einem gibt, dass unter dir ein paar zusätzliche Kilometer Gestein liegen?«
»Trinken wir noch eins? Solange wir dürfen?«
»Und Frau Ella?«
»Die besuchen wir nachher im Krankenhaus. Wo soll die denn sonst hin, ohne Klamotten, ohne Geld und ohne Wohnungsschlüssel? Die liegt da längst wieder in ihrem Bett und lässt ihr Auge pflegen.«
»Wollten die Typen da sie nicht umbringen?«
»War bestimmt ein Missverständnis. Wer stirbt schon an einer Augenoperation?«
Genau das Gleiche hatte dieser Pfleger ihm gesagt, vor nicht einmal einer Woche. Und er war heimlich mit Frau Ella getürmt, weil er dachte, dass man sie umbringen würde. Warum hatte der Pfleger ihm überhaupt geholfen? Ganz kurz hatte Sascha das Gefühl, als warteten in diesem Krankenhaus doch noch eine Menge unangenehme Dinge darauf, dass er sich zeigte. Er musste sich einfach noch weiter entspannen.
»Meinst du echt, ich kann da Probleme kriegen? So richtig?«, fragte Sascha, nachdem sie eine Weile schweigend auf dem Parkplatz des Krankenhauses gestanden und dem Knacken des Motors gelauscht hatten.
»Keine Ahnung. Wenn du sie gegen ihren Willen einfach mitgenommen hast, bestimmt. Woher soll ich wissen,
Weitere Kostenlose Bücher