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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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Freundin?«
    »Meiner was?«
    »Der Dame, die Ihnen so ans Herz gewachsen ist. Ihre Bettnachbarin.«
    »Ist die denn nicht hier?«
    »Warum sollte sie denn hier sein? Sie haben sie doch nach Hause gebracht. Sie sind ja ganz durcheinander! Ist Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch. Ich, ich wollte nur ihre Sachen holen, die Sachen von Frau Ella, also meiner Nachbarin, Ella Freitag, die haben wir vergessen. Sie wollten uns die Sachen doch vorbeibringen. Wir warten seit Tagen in meiner Wohnung.«
    »Sie warten auf mich in Ihrer Wohnung?«
    »Klar. Sicher. Ich meine, das war doch so abgesprochen, dass ich Frau Ella mit zu mir nehme und Sie nach Feierabend ihre Sachen bei mir vorbeibringen. Daran müssen Sie sich doch erinnern!«
    Der Pfleger sah ihn an, leicht verunsichert oder auch mitleidig, kratzte sich an seinem kahlgeschorenen Kopf, drehte ihm den Rücken zu und machte sich an einem der grauen Metallschränke zu schaffen. Schließlich wandte er sich ihm wieder zu, in der Hand den kleinen blauen Stoffkoffer mit seinen gelben Streifen.
    »Ist das der Koffer?«
    »Natürlich ist das der Koffer! Jetzt sagen Sie nicht, dass hier täglich drei Omas fliehen und ihre Koffer vergessen!«
    »War das wirklich abgesprochen, dass ich bei Ihnen zu Hause vorbeischaue?«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
    »Ach, Herr Hanke, wenn Sie wüssten, was hier los ist. Da ist man froh, wenn man niemanden aus Versehen verhungern lässt. Und Sie sagen, dass die Dame nicht bei Ihnen ist? Aber Sie wollten sich doch um sie kümmern, oder nicht? Also hier ist sie jedenfalls auch nicht.«
    »Verdammt, das gibt’s doch nicht!«
    »Jetzt beruhigen Sie sich doch. Sie war doch noch ganz selbständig und gut auf den Beinen. Die findet schon ihren Weg.«
    »Ich fass es nicht. Ich fass das einfach nicht.«
    Dann riss er dem Pfleger den Koffer aus der Hand und stürmte aus dem Zimmer, den Flur entlang am Aufzug vorbei und ins Treppenhaus. Es war wirklich nicht zu fassen! Das Leben war eine sinnlose Komödie, über die man nicht einmal lachen konnte. Dieser Penner hatte sie einfach vergessen und tat jetzt so, als sei das eine Lappalie, ein Missgeschick, als hätte er ein Glas Wasser umgekippt. Als wäre das hier irgendeine Bergpension, aus der sie wie zwei Urlauber auf der Durchreise einfach ausgezogen waren, um weiter Richtung Süden zu fahren. Als ginge es hier nicht um Leben und Tod eines Menschen! Klaus hatte vollkommen recht. Das war doch kein Spiel! Dieser Pfleger war doch schuld an der ganzen Geschichte. Er hatte sie einfach im Stich gelassen. Und sie machten sich Vorwürfe! Das änderte an ihrer Situation natürlich gar nichts. Sie mussten Frau Ella finden.

19

    SIE HATTE SCHON WIEDER geschlafen. Wie ein kleines Kind. Sie sollte sich schämen, doch war da niemand, vor dem sie sich hätte schämen können. Von draußen hörte sie die Stimme des Mädchens. Durch das verstaubte Fenster sah sie einen wolkenlosen Himmel. Vor ihr das Feuer, das schon weit heruntergebrannt war. So lange hatte sie geschlafen. Man würde an einem solch schönen Tag nicht weiter heizen müssen. Schon jetzt war ihr unter der Decke fast ein wenig zu warm, nein, noch war es genau richtig, gemütlich, in dieser Holzhütte, mitten in der Stadt. Das Feuer, das knisterte, das Mädchen, das sie für ein Gespenst hielt, der griechische Bauer, der ein Türke war, und sie selbst in diesem Schaukelstuhl schon wieder kurz davor einzuschlafen. Was sollte man davon halten? Sie verlagerte ihr Gewicht ein wenig nach vorne, so dass der Schaukelstuhl endlich auch schaukelte. Sie hatte Lust auf einen Kaffee, aber noch wollte sie ein bisschen dösen, dann würde sie auch diese Aufkochmethode lernen. Sie sah die Großmutter in ihrem Schaukelstuhl, auf den sie nie gedurft hatte. Und doch hatte sie selbst sich später nie so ein Ding gekauft. Da hatte man Wünsche und erfüllte sie sich nicht. Das würde sich ändern. Sobald sie wieder zu Hause wäre, würde sie sich so einen besorgen. Natürlich würde sie die paar Jahre, die ihr noch blieben, auch ohne einen Schaukelstuhl auskommen, aber dazu gab es keinen Grund. So teuer konnte das doch nicht sein. Vielleicht würde sie sich auch diese ganzen unterschiedlichen Kaffeegeräte kaufen und von nun an jeden Tag einen anderen Kaffee trinken. Nur, wann wäre sie denn endlich zu Hause? Sie musste unbedingt ins Krankenhaus, ihre Sachen holen, ohne Geld, mit nichts als einem Nachthemd, es war zum Verzweifeln. Und wenn sie doch noch einmal die jungen Männer

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