Frau Holle ist tot
waren neueren Datums, aber
irgendwo gab es Fundamente aus dieser Zeit, hatte ihm Egon Kupfer erklärt, als
er das erste Mal die Kisselmühle besucht hatte.
Annika und Mayfeld stiegen vom Motorrad ab, holten ihr
Gepäck aus den Satteltaschen. Ein bärtiger Mittvierziger öffnete die Tür des
Fachwerkhauses.
»Schön, dass es noch geklappt hat«, begrüßte der
Besitzer der Kisselmühle die beiden Besucher.
Der alte Mayfeld stellte Annika vor. »Sie wird mir bei
der Arbeit zur Hand gehen.«
Kupfer musterte Annika mit skeptischem Blick. Mit
ihrem schwarzen Outfit würde sie besser in einen Horrorfilm oder eine
Großstadtdisco als auf einen Waldbauernhof passen. Zu Herbert Mayfelds
Erleichterung verzichtete Kupfer aber auf eine entsprechende Bemerkung.
»Ich zeige euch eure Zimmer.« Der Hausherr lud die
beiden mit einer weit ausholenden Geste ein, ihm zu folgen.
Sie liefen einen Gartenweg zu einem lang gestreckten
Holzhaus, das hinter den anderen Gebäuden am Hang lag.
»Wir fahren morgen in aller Herrgottsfrühe los und
kommen am Sonntag spätabends zurück«, erklärte Kupfer. »Ihr könnt die Küche und
alles andere bei uns benutzen, aber zum Schlafen heute Nacht müsst ihr mit
unserem Gästehaus vorliebnehmen. Braucht ihr ein oder zwei Zimmer?«
»Zwei«, antwortete der alte Mayfeld wie aus der
Pistole geschossen und warf einen Blick zu Annika, die grinste und ihn
anzwinkerte.
Sie verstauten das wenige Gepäck, das sie mitgebracht
hatten, in den Zimmern, dann gingen sie zurück zum vorderen Haus. Annika
versuchte zu telefonieren und fluchte, nachdem sie die Nummer eingegeben hatte.
Kupfer war in Gummistiefel geschlüpft und hatte einen
Filzumhang übergeworfen.
»Empfang hast du hier nur mit dem D1-Netz, und das
auch nur an ein paar ganz bestimmten Stellen.« Er zeigte auf einen Baum
gegenüber den Häusern. »Dort und vor der Lamaschule. Wenn ihr telefonieren
wollt, benutzt das Festnetz, falls es funktioniert. Wenn es nicht geht, ist mal
wieder ein Ast auf die Telefonleitung gefallen. Wir haben hier nämlich noch
Oberleitungen.« Er deutete auf ein Kabel, das zwischen den Bäumen auftauchte
und in das Dach des Fachwerkhauses mündete. »Dann müsst ihr vor zum Kloster und
in der Klosterschänke die Störungsstelle anrufen. Aber die werden kaum vor Montag
kommen.«
»Na großartig«, moserte Annika und zog eine Schnute.
Kupfer wechselte das Thema. »Wir gehen zu den Ställen.
Ich zeig dir noch mal, was alles zu tun ist, Herbert.«
Ein Schild mit aufgemalten Lamas wies die Richtung.
Der Weg zog sich ein paar hundert Meter den Hang hinauf und führte dann zu
einer Brücke über den Kisselbach hinunter. Dahinter lagen die Stallungen.
Sie gingen an einem Totempfahl und einem Tipi vorbei.
Links ließen sie einen windschiefen Schuppen, der sich »Lamaschule« nannte,
liegen und steuerten auf eine große Esche zu, deren Blätter sich gelb verfärbt
hatten. Dahinter lag das riesige Stallgebäude, rechter Hand schlossen sich die
Weideflächen an. Fast lautlos näherte sich eine Gruppe Lamas den Ankömmlingen
und musterte sie neugierig.
»Spucken die?«, fragte Annika ängstlich.
»Nur untereinander«, antwortete Kupfer. Unter der
Esche, deren Stamm von einem Drahtgitter eingefasst war, tummelten sich
Meerschweinchen. Er deutete auf die Nagetiere. »Die müssen einmal am Tag
gefüttert werden.«
Sie gingen weiter zu den Stallungen.
»Wenn die Tiere abends in den Stall zurück sollen,
nehmt ihr die Bänder, die die Weide begrenzen, aus den Halterungen und hakt sie
hier ein.« Er zeigte auf Haken in der Wand des Stalls. »Die Tiere kommen dann
ganz von alleine. Sie wissen, wo es Futter gibt.«
Kupfer zeigte ihnen die Weiden der Alpakas und der
Kamele. Das Prinzip war überall dasselbe, die Tiere gingen dorthin, wo es
Futter gab, man musste ihnen nur den Weg frei machen. Vielleicht ein wenig
nachhelfen, indem man hinter ihnen herging und ihnen gut zuredete.
»Ihr solltet öfters mal überprüfen, ob noch Strom auf
den Weidezäunen ist«, fuhr Kupfer fort. »Es gibt hier jede Menge Wildschweine,
die die Weidezäune beschädigen. Wenn die erst mal mitbekommen, dass es nicht
mehr wehtut, dann reißen sie alle Zäune um und durchwühlen die Weiden.
Irgendwann machen sich auch die Lamas davon.« Er zeigte ihnen den Trafo, mit
dem die Zäune unter Strom gesetzt wurden.
Dann betraten sie den Stall.
»Bevor ihr die Tiere hereinlasst, müsst ihr die Raufen
mit Heu füllen.« Kupfer deutete auf die Stirnseite des
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