Frau Holle ist tot
sich, beruhigend zu klingen. »Haben Sie eine Idee, wer Kevin getötet
haben könnte?«
Mertens entspannte sich ein wenig. »Nee.«
»Können wir noch einmal auf Ihre beiden anderen
ehemaligen Pflegekinder zu sprechen kommen? Ist Ihnen zu Annika noch etwas
eingefallen?«
Mertens machte ein Gesicht, als ob Mayfeld in einer
fremden Sprache zu ihm gesprochen hätte.
»Eingefallen?«
»Ja, ist Ihnen noch etwas eingefallen?«
»Nein.«
»Kennen Sie Frau Dr. Holler?«, setzte Mayfeld
nach.
»Wer soll das sein?«
»Die Therapeutin von Marie und Annika.«
Mertens schaute ratlos zu Burkhard, dann zu Mayfeld.
»Therapeutin? Kenn ich nicht.«
»Sie wurde ermordet«, sagte Burkhard.
»Deswegen stellen Sie die Fragen?«
»Unter anderem«, sagte Mayfeld. »Sie haben noch nie
von ihr gehört?«
»Nein.«
»Annika hat gegenüber ihrer Therapeutin geäußert, sie
sei von Ihnen nicht gut behandelt worden«, versuchte Mayfeld, Mertens aus der
Reserve zu locken. Er wusste, wie plump sein Versuch war. Aber manchmal kam man
auch mit schlichten Mitteln weiter.
»Dafür sind Therapeuten doch da, oder? Fürs Meckern
über die Eltern.«
»Was für einen Grund könnte Annika dafür haben?«
»Die hat immer was zu meckern. Kein Wunder bei dem,
was sie mit ihrer Mutter durchgemacht hat.«
So etwas Ähnliches hatte er bereits, etwas eleganter
formuliert, von Grewe gehört.
»Marie hat Ähnliches über Sie geäußert«, setzte Mayfeld
nach.
Mertens kratzte sich am Kopf. »Sag ich doch, ist der
Job von Therapeuten, die Leute über ihre Eltern meckern zu lassen.«
»Wo waren Sie letzte Woche in der Nacht von Freitag
auf Samstag?«
»Zu Hause«, antwortete Mertens, ohne zu zögern. »Im
Bett neben meiner Frau.«
»Ich glaube, wir können wieder gehen«, sagte Mayfeld
zu Burkhard.
»Na denn«, antwortete Mertens. Er schien froh zu sein,
seinen Besuch wieder loszuwerden.
Die drei Männer standen auf. Mertens ging ihnen
voraus. Beim Hinausgehen griff Mayfeld in den Aschenbecher und fingerte sich
eine von Mertens’ Kippen heraus.
»Was war das ganz zum Schluss?«, fragte Burkhard, als
sie in Mayfelds Volvo einstiegen.
»Mit der Kippe?«
»Mit der Kippe.«
»Der Typ hat Dreck am Stecken.«
»Und was hilft dir da die Kippe?«
»Ich lasse die DNA analysieren. Vielleicht finde ich seine Spur irgendwo in dieser ganzen
gottverdammten Ermittlung noch einmal.«
»Gerichtsverwertbar ist so etwas aber nicht.«
»Das weiß ich selbst. Aber wenn ich erst einmal sicher
bin, dass Mertens in die Sache verwickelt ist, dann finde ich auch etwas
Gerichtsverwertbares.«
Mayfeld erinnerte sich an die SMS ,
die er vor ihrem Gespräch mit Mertens erhalten hatte. Die Nachricht kam von
Winkler. Er öffnete und las sie.
»Soll ich die Kippe mit nach Wiesbaden ins Labor
nehmen?«, fragte Burkhard.
»Lass mal, Paul. Das erledige ich morgen. Jetzt geht
es erst mal zu Herrn Dr. Hochstätter. Der residiert in meiner
Nachbarschaft. Heike hat mir geschrieben. Hochstätter ist der Halter des Autos
auf dem Foto, das wir bei Sebastian Fromm gefunden haben. Und das Alibi für
Mertens.«
Dr. Markus Hochstätters Büro befand sich in
einer der Villen am Rhein zwischen Walluf und Eltville, in einem leuchtend
weißen, herrschaftlichen Anwesen, das neben den Geschäftsräumen noch
Hochstätters Privatresidenz und ein Gästehaus umfasste. Die Villa war in klassizistischer
Manier vor gut hundert Jahren entstanden und Teil der Rheingauer Riviera, wie
das etwas höher gelegene Flussufer über dem Treidelpfad genannt wurde, das von
großzügigen Gärten und prachtvollen Villen wie der von Hochstätter gesäumt
wurde.
Der Hausherr öffnete persönlich. Er war ein
hochgewachsener, elegant gekleideter Mann in den Vierzigern. Die beiden Beamten
zeigten ihre Dienstausweise.
»Sie wohnen in der Nachbarschaft«, sagte Hochstätter
zu Mayfeld. »Ich bin überrascht, Sie beruflich kennenzulernen.«
Hochstätter führte sie durch eine Marmorhalle in die
Büroräume, die hinter hohen Edelholztüren verborgen lagen.
»Die Mitarbeiter sind schon alle gegangen«, erklärte
er Mayfeld. »Noch vor einer halben Stunde wurde hier eifrig gearbeitet.«
Mayfeld und Burkhard nahmen in einem
Besprechungszimmer Platz. Es war mit schweren kastanienbraunen Ledersesseln
möbliert und bot einen traumhaften Blick auf den Rhein, den die untergehende
Sonne in rot schimmerndes Licht tauchte.
»Den Blick kennen Sie ja.« Hochstätter wies auf das
Panorama und lächelte Mayfeld zu.
Er
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