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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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Stalls. »Das liegt
dahinten. Und vergesst nicht, Urbi und Orbi zu füttern.« Er zeigte auf die
Voliere, die sich rechts des Stalleingangs befand und in der zwei Papageien,
ein rot-gelber und ein blau-gelber, vor sich hin brabbelten.
    Anschließend füllten sie die Raufen mit Heu und ließen
die Tiere zu ihrem Futter. Später gab es für die beiden Aushilfskräfte in der
Familienküche einen kräftigen Eintopf.
    ***
    Das Blubbern der Kühlschlangen erfüllte den
Kellerraum. Mayfeld saugte mit dem Schlauch Federweißen aus dem Spundloch an
und ließ ihn in die beiden Messzylinder fließen. Zuerst maß er die Temperatur
und notierte sie mit Kreide auf dem Stückfass. Dann ließ er die Oechslewaage in
die Flüssigkeit gleiten und las die verbleibenden Oechslegrade ab, die er
ebenfalls notierte. Noch zehn Grad Oechsle. Der Rest des Zuckers war bereits zu
Alkohol vergoren. Mayfeld goss die Flüssigkeit in ein Weinglas und probierte.
Er war mit der Entwicklung des Federweißen zufrieden. Die Gärung ging langsam
und stetig voran. Noch etwa eine Woche, dann war der neue Wein so weit.
    Während er arbeitete, ließ er den Tag Revue passieren,
die Entdeckung von Kevins Leiche im Rotkäppchenweg, die Beobachtungen des Nachbarn,
die Vorwürfe von Waltraud Fromm, die Aufzeichnungen Hollers, die Befragungen
von Mertens und Hochstätter.
    Er ging zum nächsten Fass und wiederholte die
Prozedur. Hier waren die Oechslegrade im Vergleich zu gestern kaum
zurückgegangen. Die Weinberghefen, die die Gärung zu Beginn so stürmisch in
Gang gesetzt hatten, schwächelten seit ein paar Tagen. Das war der Nachteil der
Spontanvergärung: Man konnte sich auf nichts verlassen. Und acht Grad Oechsle,
das liefe auf etwa fünfundzwanzig Gramm Restzucker hinaus und war für Mayfelds
Geschmack zu süß. Er holte eine der Kühlschlangen, stieg die Leiter, die an das
Fass gelehnt war, hoch und steckte sie in das Spundloch. Dann schloss er die
Schläuche an den Kreislauf mit warmem Wasser an.
    Mit etwas Glück würde es ausreichen, die Temperatur im
Fass um ein oder zwei Grad zu erhöhen, um die Gärung noch ein paar Tage oder
eine Woche in Gang zu halten, ohne eine Reinzuchthefe zuzusetzen. Denn ob sich
die verschiedenen Hefen im Fass vertrugen, konnte man im Vorhinein nie sagen.
    Nach welcher perversen Logik ging der Mörder vor?
Folgte er überhaupt einer Logik? Beim zweiten Mord hatte sich der Täter
deutlich weniger Mühe mit dem Herrichten der Leiche gegeben. Hatte er die Lust
an dem makabren Spiel verloren? Hatte er weniger Zeit gehabt?
    Mittlerweile war Mayfeld am dritten Fass angekommen.
Hier war die Gärung schon weit fortgeschritten, und die Oechslewaage zeigte
minus ein Grad. Das entsprach acht Gramm Restsüße, ein idealer Wert für einen
trockenen Riesling, der sich seine Fruchtigkeit bewahren sollte. Also musste
die Gärung jetzt zum Ende kommen. Mayfeld zog den Spund aus dem Spundloch,
führte eine Kühlschlange ein und schloss sie am Kaltwasserkreislauf an.
Angesichts des schwächer gewordenen Gärungsprozesses in diesem Fass sollte das
genügen, um ihn ganz zum Stehen zu bringen.
    Für diesen Tag war die Arbeit im Keller beendet.
Mayfeld setzte sich an den kleinen Tisch, auf dem der Messzylinder stand,
schüttete die Reste des Federweißen in ein Weinglas und trank es langsam aus.
    Mit allen drei Kindern, die bei der Familie Mertens
vor einem Jahrzehnt zur Pflege untergebracht waren, war in den letzten Tagen
etwas Ungewöhnliches oder Schlimmes geschehen. Marie war von zu Hause
weggelaufen, Annika hatte sich das Leben nehmen wollen, und Kevin war ermordet
worden. Vielleicht musste Holler sterben, weil sie als Therapeutin von zweien
der drei Kinder etwas wusste, was den Täter bedrohte. Aber warum, um alles in
der Welt, wurden die beiden Leichen so zur Schau gestellt? Und was hatte diese
Geschichte mit Sebastian Fromm zu tun? In diesem Fall passte nichts zusammen.
    Mayfeld verließ den Keller und ging nach oben in den
Schankraum. In der Straußwirtschaft waren alle Plätze besetzt.
    Die Bedienung brachte Rote-Bete-Carpaccio, Forellentatar,
Hasenrücken und Wildschweinlasagne an die Tische, gebratene Blutwurst, Pilz-
oder Kürbissuppe. Zora winkte ihm zu, auch Trude, Gucki und Batschkapp hatten
Mayfeld entdeckt und begrüßten ihn mit lebhaften Gesten und warmen Worten.
    Mayfeld fiel auf, dass er heute noch nichts gegessen
hatte. Er setzte sich zu den Freunden, die gerade über die Eurokrise
diskutierten, bestellte sich eine

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