Frau Holle ist tot
wissen wir
über die Tote?«
Winkler berichtete: »Dr. Sylvia Holler, geboren
am 8. März 1952 in Rüdesheim als Sylvia Fromm. Verwitwet, keine Kinder.
Nächster Angehöriger ist ihr Bruder Georg Fromm aus Lorch. Frau Holler ist
promovierte Psychologin und hat von 1978 bis 1990 im Vincenzstift in Aulhausen
gearbeitet. Danach hat sie sich als Kinder- und Jugendtherapeutin in
Eltville-Martinsthal niedergelassen, wo sie bis zuletzt eine Praxis betrieben
hat. Sie hat Bücher über Märchen und ihre Verwendung in Unterricht und Therapie
verfasst und tritt in ihrer Freizeit als Märchenerzählerin auf. Den
Kontoauszügen zufolge, die wir in der Wohnung gefunden haben, besaß sie ein
Vermögen von mehreren hunderttausend Euro. Von ihren Praxiseinnahmen kann sie
das nicht haben, und von den Erlösen aus den Buchverkäufen oder ihren
Auftritten auch nicht, zumindest nicht, wenn man ihren Steuererklärungen
Glauben schenken will. Vielleicht von einer Erbschaft? Oder einer
Lebensversicherung des verstorbenen Mannes? Ich werde versuchen, das zu
klären.«
»Prima, wie schnell du das alles zusammengetragen
hast.« Mayfeld klopfte anerkennend auf den Tisch.
»Ich hatte Bereitschaft, und der Rest der Nacht war
ruhig.« Das hieß, Winkler hatte trotz Erkältung die ganze Nacht durchgearbeitet
und war nach ihrem Bereitschaftsdienst bis zur Besprechung im Präsidium
geblieben. Und er hatte die Besprechung auch noch ein paar Stunden nach hinten
verschoben. Aber bevor er deswegen ein schlechtes Gewissen bekommen konnte,
fiel ihm ein, dass die junge Kollegin mittlerweile zweiunddreißig Jahre alt war
und durchaus wusste, was sie tat. Und dass er sie Anfang des Jahres Oskar
Brandt zur Beförderung empfohlen hatte.
»Wann war der Todeszeitpunkt?«, wollte Mayfeld wissen.
»Das kann dir Dr. Enders nach der Obduktion
sagen«, antwortete Adler. »Die beginnt in zwei Stunden am Südfriedhof. Fährst
du hin?«
Mayfeld nickte.
»Bis dahin musst du dich mit meiner Schätzung
zufriedengeben: zwischen ein und sieben Uhr morgens.«
»Was gibt der Fundort der Leiche her, Horst?«
Adler öffnete seinen Aktenordner und begann in
trockenem Ton zu referieren. »Wie nicht anders zu erwarten, gibt es in den
Praxisräumen jede Menge Fingerabdrücke und DNA -Spuren.
Keinen der Fingerabdrücke findet man in unseren Dateien. In der Privatwohnung
haben wir nur wenige Fingerabdrücke und DNA -Spuren
gefunden, die Fingerabdrücke von Holler natürlich und die Abdrücke von zwei
weiteren Personen. Auch die sind in keiner Datei. Einer dieser
unidentifizierten Fingerabdrücke befindet sich auf einem Drahtlos-Telefon, das
in der Praxis im Behandlungsraum lag, in der Nähe der Toten. Die Basisstation
dazu steht im Schlafzimmer. Von dort stammt vermutlich auch das Kissen, das
aufgeschlitzt wurde, um die Daunen über der Leiche zu verteilen. Zumindest
liegt dort ein zweites solches Kissen. Kampfspuren haben wir nirgendwo im Haus
gefunden, auch der Körper des Opfers hat bei einer orientierenden Untersuchung
keine aufgewiesen.«
»Ist der Fundort der Leiche auch der Tatort?«
Adler überlegte einen Moment, zuckte dann mit den
Schultern und fuhr mit seinem Referat fort. »Das ist eine der zentralen Fragen,
die wir gerne am Anfang jeder Ermittlung klären möchten, Übereinstimmung von
Fundort und Tatort: ja oder nein. Leider können wir keine eindeutigen Aussagen
zu dieser Frage machen. Holler hatte keine blutenden Wunden, entsprechend haben
wir nirgends Blut von ihr gefunden. Schleifspuren haben wir ebenfalls nirgendwo
gefunden, aber das ist auch nicht unbedingt zu erwarten. Frau Holler war eine
zierliche Person, ein kräftiger Mann könnte sie ohne Weiteres getragen haben.
Trotzdem solltest du Dr. Enders nachher fragen, Robert, ob er an den
Fersen Hinweise für Abrieb gefunden hat.«
Mayfeld machte sich eine Notiz.
»Wir haben die Tür zum Garten genauer unter die Lupe
genommen«, fuhr Adler fort. »Die stand offen, wie ihr wisst. Am Türschloss
wurde definitiv manipuliert. Das Schloss ist alt, für jemand, der sich mit
solchen Sachen auskennt, ist es kein Problem gewesen, es zu öffnen.«
Wahrscheinlich ist der Täter durch den Hintereingang
in das Haus eingedrungen, dachte Mayfeld. »Und was ist mit dem Baumhaus,
Horst?«, fragte er.
»Geduld, Geduld«, mahnte Adler. »An der Tür zum Garten
haben wir nur die Fingerabdrücke einer Person gefunden, und das sind nicht die
Abdrücke von Frau Holler, die man dort erwarten würde, sondern die von
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