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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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wirkte Frau Holler auf Sie? War sie irgendwie anders als sonst?«
    Wieder schüttelte Grewe den Kopf. »Mir ist nichts
aufgefallen. Ich hatte bloß den Eindruck, dass sie nicht viel Zeit hatte. Wir
wollten diese Woche noch einmal miteinander telefonieren.«
    »Fällt Ihnen im Zusammenhang mit Frau Holler noch
etwas ein, das uns weiterhelfen könnte?« Die Frage war bloße Routine. Mayfeld
glaubte nicht daran, von Grewe noch etwas von Belang zu erfahren.
    Grewe hob hilflos die Schultern und lockerte den
Seidenschal noch einmal. »Muss es denn überhaupt eine Verbindung zu ihrem Beruf
geben? Ihre Patienten, das sind doch Kinder und Jugendliche, die begehen doch
keine Morde, und verzweifelte Eltern auch nicht.« Er machte eine Pause, bevor
er fortfuhr. »Sie war eine großartige Frau. Ihr Tod ist ein schlimmer Verlust
für ihre Klienten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine Frau derart
hasserfüllte Feinde haben soll. Aber es muss ja wohl so gewesen sein.«
    »Haben Sie einen Verdacht?«
    »Sie sehen mich völlig ratlos, Herr Kommissar. Aber
ich werde noch einmal darüber nachdenken.«
    Mayfeld gab Grewe seine Karte und verabschiedete sich.
    Auf der Rückfahrt von Bad Schwalbach bog Mayfeld
am Ortseingang von Martinsthal von der Bäderstraße ab und erklomm auf
Serpentinen die Anhöhe von Rauenthal. Das Kultur- und Tagungshaus lag in der
Mitte des Orts gegenüber der Kirche. Unter den Fenstern des ersten Stocks hing
eine Fahne mit der lachenden Sonne der Antiatombewegung.
    Mayfeld klingelte an dem bunt lackierten Holztor, das
von der Hauptstraße zum Anwesen führte. Es dauerte lange, bis eine Bewohnerin
am Eingang erschien, eine Frau Mitte vierzig in Jeans und dunklem
Kapuzenpullover, die sich als Bärbel vorstellte. Mayfeld fragte nach Sandor
Weisz. Sie studierte den Dienstausweis des Kommissars gründlich und mit
erschrockener Miene.
    »Was wollen Sie denn von Sandor?«
    Mayfeld entgegnete, dass er ihm das lieber selbst
sagen wollte, und die Frau bat ihn, ihr zu folgen. Sie geleitete ihn durch den
Hof ins Haus, wo sie eine Holztreppe ins Obergeschoss hinaufstiegen. Vor einer
der Türen, die vom Flur abgingen, lauerte ein dicker roter Kater wie vor einem
Mäuseloch. Aus dem Zimmer drangen Harfenklänge, die verstummten, als Bärbel an
die Zimmertür klopfte.
    Ein etwa dreißigjähriger Mann öffnete. Er trug eine
helle Leinenhose und einen Norwegerpullover, die dunklen, lockigen Haare und
der buschige Vollbart versteckten große Teile des runden und gemütlich
wirkenden Gesichts.
    »Da ist jemand von der Polizei«, sagte die
Mitbewohnerin in besorgtem Ton. Hinter Sandor Weisz erschien ein schwarz-weiß
gescheckter Bobtail. Der rote Kater fauchte, sprang aus seiner Lauerstellung
auf und raste die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, gefolgt von dem wütend
bellenden Fellknäuel.
    »Ich kümmere mich um Bobby und Mikesch«, sagte Bärbel
schnell und folgte Hund und Katze. Weisz bat Mayfeld herein und forderte ihn
auf, auf einem silbrig schimmernden Sitzsack Platz zu nehmen. Er selbst setzte
sich auf ein besticktes Sitzkissen ihm gegenüber.
    Das Zimmer von Sandor Weisz wurde dominiert von einem
Hochbett und einer barocken Harfe, um die herum Klangschalen verschiedener
Größe gruppiert waren. An den Wänden standen selbst gezimmerte Holzregale, an
einer Wand hing das Plakat, das Mayfeld aus Hollers Praxis kannte. Frau Holle
und die Märchenharfe. In einer Ecke des Zimmers brannte ein Räucherstäbchen und
verströmte Sandelholzduft in den Raum. Voll retro, würde Lisa dazu sagen.
    »Ich könnte Ihnen einen Tee anbieten.« Weisz sprach
mit einem leichten Akzent, der seine ungarische Herkunft verriet. Er lächelte
nervös.
    Mayfeld lehnte dankend ab.
    »Ich komme wegen Sylvia Holler«, sagte der Kommissar
und deutete mit dem Kopf zu dem Plakat.
    »Was ist mit Sylvia?« Weisz’ sanfte Baritonstimme
klang besorgt.
    »Sie wurde ermordet.«
    Das Überbringen von Todesnachrichten war einer der
unerfreulichsten Aspekte seiner Arbeit, fand Mayfeld. Sein Beruf machte es
notwendig, nüchtern und sachlich mit dem Tod umzugehen, Betroffene mit kühler
Distanz zu beobachten, aber damit wurde man Menschen, die gerade einen
schmerzhaften Verlust erlitten hatten, nicht gerecht. So war das auch bei
Sandor Weisz.
    Über seine dunklen Augen legte sich ein Schleier. Er
schien durch Mayfeld hindurch in die Ferne oder ins Leere zu starren, so als ob
seine Seele an einem weit entfernten Ort verweilen würde.
    »Es tut mir leid. Frau Holler

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