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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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hatte eine ganze Weile die Zeichnungen an
der Wand ihres Gefängnisses betrachtet. Einige der Vogelzeichnungen hatte sie
in einem Buch über heimische Vogelarten wiedergefunden. Basti hatte mit einem
Filzstift exakte Kopien angefertigt. Die Schmetterlinge, die sie aufgespießt in
einer Vitrine gefunden hatte, hatte sie ebenfalls als Zeichnungen an der Wand
wiedergefunden. Auch einige der Kröten, die er in Einmachgläsern in einer
öligen Flüssigkeit aufbewahrte, hatte er gezeichnet.
    Zwischendurch hatte sie eine Weile wie am Spieß geschrien,
aber niemand hatte sie bemerkt. Als ihr die Kehle wehtat, hörte sie mit dem
Schreien wieder auf. Das Fenster des Zimmers war klein, führte auf den Wald
hinaus und ließ sich nicht öffnen, die Wände waren dick. Hier würde sie niemand
finden. Hier konnte sie verfaulen. Sie weinte leise vor sich hin.
    Dann fing sie sich wieder. Genau genommen war sie sich
nicht sicher, ob sie von hier wegwollte, sie stand auf Typen, die keine
Normalos waren, und liebte verrückte Abenteuer. Sie war lediglich deprimiert
darüber, eingesperrt zu sein. Und sie mochte nicht allein sein. Sosehr es ihr
manchmal vor Basti Rübezahl gruselte, es war besser, wenn er in ihrer Nähe war,
als wenn er sie allein in dem Raum mit den toten Tieren ließ. Vor allen Dingen
aber wusste sie immer noch nicht, wo sie hingehen sollte, wenn sie von hier
hätte abhauen können, niemand war ihr eingefallen, auch wenn sie angestrengt
darüber nachgedacht hatte.
    Zurück zu ihren Alten, das war definitiv keine gute
Idee. Die wollten sie doch bloß loswerden und in einen Kinderknast stecken.
Annika hatte sich aus dem Verkehr gezogen, und auf Kevin war kein Verlass. Ihre
sonstigen Freundinnen waren brave Mädchen, die als Erstes zu ihren Eltern
rennen würden, wenn sie auftauchte, und die würden sich ans Telefon hängen und
ihre sogenannten Eltern anrufen. Am besten wäre es, sich für eine Weile in Luft
aufzulösen, mit achtzehn wieder aufzutauchen und das Erbe von Oma
abzukassieren. Wenn sie das jetzt doch mit Frau Dr. Holler besprechen
könnte …
    Beim Gedanken an Frau Holler blieb ihr fast das Herz
stehen, der Magen wollte sich nach außen stülpen, und das Zimmer begann sich um
sie herum zu drehen. Was hatte der Riese mit ihr gemacht? Was hatte er gemeint,
als er sagte, er habe aufgepasst?
    Wir sind jetzt in einer wichtigen Phase der Therapie,
hatte Frau Dr. Holler vor ein paar Wochen gesagt. Die Therapeutin war der
Meinung gewesen, ihre Probleme hätten mit schlimmen Erlebnissen zu tun, die
weit zurücklägen. Wahrscheinlich hatte sie dabei an den Unfall ihrer Eltern
gedacht. Aber Marie war sich da nicht sicher.
    Ihre Träume waren in der letzten Zeit so komisch
gewesen. Natürlich war es schlimm, bei Leuten leben zu müssen, die nur
behaupteten, dass sie die eigenen Eltern waren. Aber darüber quatschte sie mit
Frau Holler doch schon seit ewigen Zeiten. Was sollte daran ausgerechnet jetzt
so wichtig sein? Doch mit diesen Dingen konnte sie sich jetzt nicht auch noch
beschäftigen. Sie schob den Gedanken beiseite. Je mehr sie darüber nachdachte,
was mit ihr los war und wie es mit ihr weitergehen sollte, desto weniger
blickte sie durch. Scheißspiel.
    Sie setzte sich aufs Bett und kramte in ihrem
Rucksack. Zwei Handys mit leerem Akku lagen drin, aber selbst wenn sie
funktioniert hätten, wen hätte sie anrufen sollen? Sie steckte die beiden Teile
in ihre Hosentaschen. In der Wodkaflasche war noch ein Rest. Sie genehmigte
sich einen Schluck und dann noch einen. Dann war die Flasche leer, und sie
kippte den Inhalt des Rucksacks auf das Bett.
    Sie betrachtete die Fotoausdrucke, die sie in Annikas
Tasche gefunden hatte und mit denen sie nichts anfangen konnte. Was wollte
Annika mit Fotos von Autos, die über einen Waldweg fuhren? Das war doch voll
öde. Auf einem der Fotos konnte sie das Arschloch erkennen, aber mit dem Fahrer
des dicken Schlittens auf dem zweiten Foto konnte sie gar nichts anfangen. Dann
gab es das Bild eines dritten Autos, das war irgendwie nicht so scharf. Und
dann gab es noch ein Bild, das das Arschloch zeigte, wie es etwas aus dem Auto
herausholte. Aber das sah sie nur noch total verschwommen.
    War keine gute Idee gewesen, Wodka zu trinken, solange
es hell war, irgendwie voll daneben. Oder brauchte sie bloß eine Lupe? Rübezahl
hatte bestimmt eine.
    Sie stand vom Bett auf. Schon wieder keine gute Idee.
Die Beine sackten unter ihr weg, sie konnte froh sein, dass sie aufs Bett
zurückfiel. Am

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