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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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keine Wohnung leisten kann, haben wir ihr
vorübergehend die Zimmer im Hinterhof angeboten.«
    »Waren Marie und Annika schon länger befreundet?«
    »Seitdem sie klein waren.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wo Marie stecken könnte?«
    »Keine Ahnung.«
    »Haben Sie am Samstag den Notarzt gerufen?«
    Mertens stutzte einen Moment. »Äh, nein.«
    »Wer dann?«
    Mertens runzelte die Stirn. »Woher soll ich das
wissen? Vielleicht hat sie es sich im letzten Moment anders überlegt und wollte
doch nicht sterben. Ich hab gehört, es kommt öfters vor, dass die Leute dann
selbst den Notarzt rufen. Wollen nur auf sich aufmerksam machen.«
    Der Mann sah so aus, als ob ihn die Formulierung von
drei, vier zusammenhängenden Sätzen restlos erschöpft hätte und er nicht in der
Lage wäre, noch etwas Wesentliches zu sagen.
    Mayfeld gab ihm seine Karte. »Rufen Sie mich an, wenn
Ihnen noch etwas einfällt.«
    »Klar.«
    Mayfeld ging zurück zu seinem Wagen. Dass Maries
Freundin gerade an dem Tag einen Selbstmordversuch unternommen hatte, an dem
Marie verschwunden war, war ein merkwürdiger Zufall, dachte er beim Einsteigen.
Wenn es überhaupt ein Zufall war.
    ***
    »Das ist aber schön, dass du deine Mama besuchst,
mein Junge. Geht es dir denn gut?«
    »Gut, ja.«
    Basti war mit seinem Quad ins Krankenhaus in der Stadt
gefahren. Sein Weg hatte durch Wald und Feld geführt: vom Sülzbachtal den Berg
hinauf nach Rauenthal, von dort wieder hinunter zur Bäderstraße, in Martinsthal
am Langenberg und der Wildsau vorbei zum Waldhäuschen, von dort durch den Wald
zum Hof Armada und nach Frauenstein, schließlich durchs Märchenland nach
Freudenberg. Im Märchenland war er einen Umweg gefahren, wegen der vielen
lustigen Straßennamen.
    »Hast du auch genug zu essen?«
    Basti zählte auf, was er die letzten Tage alles
gekocht, gebacken, gegessen und getrunken hatte. Nussbrot, Wildterrine,
Quittengelee, Pfannenkuchen mit Schinken. Hollersaft. Er nannte die Nummern der
Rezepte in Mamas Kochbuch und sagte die Rezepte auf.
    Er holte eine Flasche Hollersaft aus seinem Rucksack
und stellte ihn auf das Tischchen neben ihrem Bett.
    »Hollersaft, Rezept Nummer eins.«
    Mama lächelte. Aber sie war anders als sonst, sah
blasser und müder aus. Und ein roter Schmetterling saß ihr auf dem Gesicht. Es
sah zumindest so aus.
    »Haben sie den Wolf schon verjagt?«, fragte er.
    Er musterte sie genau. Die Augen waren ganz normal,
sogar etwas kleiner als sonst. Er strich ihre grauen Haare zur Seite. Die Ohren
waren auch wie immer. Er zog die Bettdecke zurück und kontrollierte die Hände.
Auch die erinnerten nicht an einen Wolf. Das Maul war sowieso wie immer, das
hatte er als Erstes bemerkt. Sag nicht Maul, beim Menschen sagt man Mund, hatte
ihm Mama einmal erklärt. Aber wenn der Wolf in jemandem steckte, was sagte man
dann?
    Jetzt streichelte sie über seinen Kopf. Heute mochte
er das nicht so gern. Er wäre lieber in dem Haus im Wald bei Marie. Pechmarie
oder Glücksmarie, egal. Aber er hatte Mama versprochen, dass er sie besuchte,
und Marie hatte es auch gewollt.
    »Nein, mein Junge, den haben sie noch nicht verjagt,«
antwortete sie. »Deswegen muss ich noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben,
mein Junge.«
    Während der letzten Wochen hatte Mama Herzschmerzen
bekommen, war immer schwächer geworden und kaum noch aus dem Bett
herausgekommen. Vor ein paar Jahren war das schon einmal so gewesen. Die Ärzte
hatten sie untersucht und gesagt, die Krankheit heiße Lupus erythematodes. Er
hatte im Lexikon nachgelesen, was das bedeute, aber nichts verstanden. Bloß,
dass das übersetzt »Roter Wolf« hieß. Warum heißt die Krankheit »Roter Wolf«,
wo sich doch ein roter Schmetterling aufs Gesicht setzt, hatte er Mama gefragt,
aber darauf hatte Mama keine Antwort gewusst.
    »Warum heißt die Krankheit ›Roter Wolf‹, wo sich doch
ein roter Schmetterling aufs Gesicht setzt?«, fragte er erneut.
    Mama lächelte müde und zuckte mit den Schultern.
Hatten es die Ärzte ihr dieses Mal also wieder nicht verraten.
    »Ist Sylvia nicht mitgekommen?«, fragte Mama.
    »Nein.«
    »Dann bist du also mit dem Taxi gekommen. Aber du
warst doch bei Tante Sylvia?«, fragte sie.
    Als Mama das erste Mal wegen des Roten Wolfs im
Krankenhaus gewesen war, war Frau Holle in Urlaub gewesen. Deswegen musste er
zu seinem Vater. Das war das letzte Mal, dass er beim Fromm gewesen war. Der
hatte ihn geschlagen, und er hatte zurückgeschlagen, und dann wollte ihn der
Fromm ins Heim

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