Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
Vom Netzwerk:
stecken. Zum Glück wurde Mama schnell wieder gesund. Aber
diesmal musste er nirgends wohin, diesmal war er schon groß genug, um allein zu
Hause zu bleiben. Zu seinem Vater wollte er auf keinen Fall noch mal. Außerdem
war er ja gar nicht allein.
    »Du warst doch bei Tante Sylvia?«
    »Ououououou.« Basti schüttelte seine Hände.
    »Basti?«
    »Ja, ich war bei der Tante. Wie du gesagt hast.«
    Man darf nicht lügen, hatte Mama ihm beigebracht.
Seine Antwort war ja auch nicht gelogen.
    »Ich war die letzten Tage zu schwach, um zu
telefonieren. Geht es Sylvia gut?«
    Basti drehte sich von seiner Mama weg und guckte zum
Fenster hinaus. Draußen schien die Sonne auf die Stadt. Mama merkte immer so
schnell, wenn etwas nicht in Ordnung war. Aber er wollte nicht zum Fromm, und
er wollte nicht ins Heim.
    »Sie hat nichts gesagt.«
    »Na, dann wird es ihr gut gehen. Trefft ihr euch heute
noch? Bitte sie doch, mich mal anzurufen. Machst du das, Basti?«
    »Wenn ich sie das nächste Mal sehe, sage ich es ihr.«
    »Ist sie denn zufrieden mit dir?«
    Was fürchtest du dich, liebes Kind?
Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll
dir’s gut gehn. Du musst nur achtgeben, dass du mein Bett gut machst und es
fleißig aufschüttelst, dass die Federn fliegen .
    Das hatte er gemacht, die Federn waren geflogen. Also
war sie wohl zufrieden mit ihm.
    »Ja, ist sie. Sie ist zufrieden, die Frau Holle.«
    »Sollst du denn keine Grüße ausrichten?«
    »Nein.« Die Frau Holle hatte nichts gesagt, und lügen
darf man nicht.
    »Wirst es vergessen haben, mein Junge.«
    Basti vergaß nie etwas. Er trat von einem Bein aufs
andere. Er fühlte sich unwohl. Die Erinnerung an den Besuch bei Frau Holle
gefiel ihm gar nicht. Er wusste, dass er nicht zu seinem Vater wollte und nicht
ins Heim. Aber ob Frau Holle zufrieden mit ihm war, das wusste er nicht. Er
wusste nur, dass er es nicht böse gemeint hatte. Und das Wichtigste war, dass
man es gut gemeint hat, hatte Mama einmal gesagt, als er ein krankes Vögelchen
aus dem Wald nach Hause gebracht hatte. Er hatte das Vögelchen zu sich ins Bett
gelegt, damit es sich erholen konnte, und am nächsten Tag war es tot gewesen.
Er hatte es nicht totgemacht, es war von allein gestorben. Er hatte es nur gut
gemeint.
    Mein Vöglein mit dem Ringlein rot
singt Leide, Leide, Leide: es singt dem Täubelein seinen Tod, singt Leide, Lei – zicküth, zicküth, zicküth.
    Marie fiel ihm ein. Hoffentlich ging es ihm mit ihr
nicht genauso wie mit dem Vögelchen, hoffentlich war sie eine Goldmarie und
keine Pechmarie.
    »Vögelchen vertragen es nicht, wenn man sie einsperrt,
stimmt’s, Mama?«
    »Wie kommst du denn darauf? Hast du wieder eins im
Wald aufgelesen, Basti?«
    Basti nickte. Irgendwie war es ja auch so.
    »Hast du es wieder in dein Bett gelegt?«
    Basti nickte wieder. »Aber ich hab aufgepasst, dass
ich es nicht erdrücke.«
    »Aber so kleine Vögel, die aus dem Nest fallen, die
gibt es doch im Herbst gar nicht, Basti.«
    »Es war schon ein bissel größer. Ich glaub, ein Flügel
ist kaputt.«
    Mama atmete schwer. »Du bist ein guter Junge. Immer so
hilfsbereit. Aber ich glaube, es ist besser, du lässt das Vögelchen wieder
frei. Entweder es kommt alleine durch, oder die Natur nimmt ihren Lauf. Da kann
man dann nichts machen.«
    Basti spürte einen Ärger in sich. Einen großen Ärger.
    »Bei dir lassen sie der Natur auch nicht ihren Lauf«,
sagte er ziemlich laut.
    Mama schaute ihn erschrocken an. Hatte er etwas
Falsches gesagt? Sie begann, leise zu weinen. Warum weinte sie denn jetzt?
    »Nicht weinen, Mama. Ich pass auf.«
    Auf dem Betttischchen lagen Papierservietten. Basti
nahm eine und trocknete Mama die Tränen ab.
    Sie griff nach seiner Hand.
    »Ich glaube, dass ich noch eine Weile im Krankenhaus
bleiben muss.«
    »Gut«, entfuhr es Basti. Dann hatte er noch ein paar
Tage Zeit mit Goldmarie.
    Mama schluckte, so als ob er schon wieder etwas
Falsches gesagt hätte.
    »Versprich mir, dass du jeden Tag zu Tante Sylvia
gehst.«
    Basti antwortete darauf nichts. Sie redeten noch eine
Weile. Zum Glück fragte Mama nicht weiter nach Frau Holle. Sie wollte wissen,
was er die nächsten Tage kochen wollte, gab ihm ein paar Küchentipps und döste
dann vor sich hin.
    »Ei tschüss«, sagte Basti irgendwann, drückte Mama die
Papierserviette, mit der er ihre Tränen getrocknet hatte, in die Hand und
schlich aus dem Zimmer. Er musste nachsehen, wie es seinem Vögelchen ging.
    ***
    Marie

Weitere Kostenlose Bücher