Frau Holle ist tot
als Asyl für eine
verrückte Prinzessin der Finsternis, das hatte ihm gerade noch gefehlt.
»Für ein paar Tage?«, fragte sie.
Mayfeld nickte tapfer. »Ich fahre heute zu Freunden in
die Kisselmühle. Das ist ein Bauernhof hinter Kloster Eberbach. Die Freunde
sind über das Wochenende weg, und ich werde für sie die Lamas hüten.«
»Die Lamas. Was hast du denn geraucht?«
»Die haben da wirklich Lamas, fünfzig Stück. Und
Alpakas und Trampeltiere und Dromedare.«
»Jetzt ohne Scheiß?«
»Ohne Scheiß.«
»Cool. Ich komme mit.« Nach einer Weile fügte sie hinzu:
»Wenn ich darf. Bitte.«
»Dann packen wir mal unsere Sachen zusammen. Meine
Harley steht auf dem Parkplatz.«
Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs nach
draußen, der alte Mayfeld hatte einen Rucksack, Annika eine Umhängetasche bei
sich. Als sie die gläserne Eingangstür des Krankenhauses in den Blick bekamen,
erstarrte Annika.
Vor der Tür wartete der Mann, den Herbert Mayfeld auf
der Intensivstation gesehen hatte, ein großer, kräftiger Kerl mit einer fiesen
Visage. Er hatte sie beide entdeckt und schien nicht erfreut darüber zu sein,
Annika in Begleitung zu sehen.
»Da können wir nicht durch«, stieß sie atemlos hervor.
»Weißt du einen anderen Weg hier raus?«
Der Fiesling hatte die Glastür geöffnet und starrte
sie an.
»Also gut, dann zeig ich dir mal meine Raucherecken«,
murmelte Mayfeld.
Sie machten kehrt. Nach wenigen Metern hatten sie die
Tür, die in den Keller führte, erreicht. Mayfeld öffnete sie.
»Da runter«, wies er Annika an.
Bevor er die Tür von innen wieder schloss, warf er
einen Blick auf die Eingangstür. Der Kerl hatte seine Position verlassen und
eilte mit grimmig entschlossener Miene auf sie zu.
»Beeilung«, schrie Mayfeld, schlug die Tür zu und
rannte Annika hinterher.
Sie sprangen die Treppe hinunter, unten hasteten sie
einen gelb gefliesten Gang entlang, der von Leuchtstoffröhren erhellt wurde.
Überall Rauchmelder, hatte er bei seinen Erkundungszügen festgestellt. Hinter
ihnen hörte Mayfeld jemanden die Treppe hinabrennen.
Sie kamen an einem großen Bettenaufzug vorbei. Dort
verzweigte sich der Gang. Sie nahmen die Abzweigung, die weiter nach unten
führte, der Boden war hier aus Beton, an den Decken verliefen Wasser- und
Heizungsrohre, Kabelkanäle und offene Elektroleitungen in Grüngelb, Blau und
Braun. Ihre Schritte hallten in den Katakomben, die Schritte ihres Verfolgers
kamen näher. Sie hetzten an einer stillgelegten Wäscherei vorbei. Ein paar alte
Heißmangeln und blaue Wäschecontainer erinnerten an die frühere Verwendung des
Raumes.
Der nächste Gang war betongrau und führte weiter in die
Tiefe, die Beleuchtung wurde spärlicher. Als sie einen Lichtschacht passierten,
blickte sich Mayfeld um. Der Verfolger war bis auf zwanzig, dreißig Meter
herangekommen.
»Schneller«, brüllte Mayfeld. Eigentlich war es eine
völlig bescheuerte Idee, in den Keller zu flüchten, fuhr es ihm durch den Kopf.
Hier unten war keine Menschenseele …
Die Beleuchtung des Gangs wurde wieder heller, der
Boden, über den sie rannten, war jetzt wieder gefliest und die Wände tapeziert.
Sie kamen an eine Treppe, die sie hochrasten.
»Bleib doch stehen, Annika«, rief der Mann hinter
ihnen keuchend. »Ich tu dir doch nichts. Ich will dich doch nur abholen.«
Der tut nichts, der will nur spielen. War das für
irgendjemand eine Beruhigung, wenn ein Pitbull ihn verfolgte?
Sie hatten das Ende der Treppe erreicht und kamen in
einen hellen Raum mit einer breiten Fensterfront und jeder Menge Grünpflanzen
in Kübeln. Von oben führte eine Treppe in den Raum, und auf dieser Treppe kam
gerade eine große Gruppe fröhlich singender Nonnen herunter. Der alte Mayfeld
erinnerte sich daran, vom Wohnheim der Ordensschwestern gehört zu haben, die im
Krankenhaus arbeiteten. Hier war also ihr Nest. Die Nonnen kamen gerade recht.
Gelobt sei der Herr.
Er winkte ihnen zu, einige winkten zurück. Die beiden
Flüchtlinge hasteten auf die Tür in der Fensterfront zu, die sich
glücklicherweise leicht öffnen ließ, und rannten hinaus.
Als sich der alte Mayfeld noch einmal zum
Schwesternwohnheim umdrehte, sah er, dass der Mann hinter ihnen den Raum jetzt
ebenfalls erreicht hatte. Aber es waren ziemlich viele Nonnen, die die Treppe
heruntergekommen waren. Wahrscheinlich wollten sie zu einer Versammlung, auf
jeden Fall verursachten sie einen Stau.
Ein Nonnenstau im Schwesternwohnheim, dachte Mayfeld
mit
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