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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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erste war aus Den Haag:
    Den Haag, Nikolaus 1918
    Ich bin der erste von dem Spann
    Betreut durch unsere Schwester Ann;
    Geschickt war sie noch nicht, von wegen!
    Und deshalb ging’s bei mir daneben.
    Denn eines Tags, es war beim Baden,
    Knickt sie mein Ärmchen, was für’n Schaden!
     
    Im Album fand ich tatsächlich ein Foto mit der Unterschrift
Den Haag, August 1916.
›Schwester Ann‹ sitzt mit einem Baby auf dem Deck eines Schiffes, ein Streifen ihres Spitzenunterrocks lugt verführerisch unter dem langen Rock vor.
Eine wunderschöne Zeit
hat sie beherzt darunter geschrieben. Ich zog das Foto vorsichtig ab. Auf der Rückseite schreibt eine Jane Lensvelt Key:
     
    Den Haag, 18   IX 1916.   Für Schwester Beets. Baby Lensvelt mit seinem Ännchen an Bord der ›Olga‹ bei der ›Eenzaamheid‹. Kager Meer, zur Erinnerung an Juli   /August 1916.
     
    Merkwürdig, dachte ich, dass Annetje so plötzlich in Den Haag gelandet war. Ich hätte sie im ersten Jahr nach ihrer Niederkunft eher in der Nähe von Arnheim erwartet, in der Nähe ihrer Schwester Vera und ihres Kindes. Vielleicht war es nicht leicht gewesen, als private Pflegerin Arbeit zu finden, dachte ich, und sie konnte sich die Aufträge nicht aussuchen. Oder vielleicht hatten ihr auch ihre Eltern, die inzwischen in Den Haag wohnten, zu diesem Auftrag verholfen.
    Das zweite Gedicht erinnerte an einen Säugling aus Sleen – wo immer das auch liegen mag.
    ›Killekille‹ fand Ann so fein
    Und nannt’ mich immer ›Popolein‹
    Doch was sie aus dem Häuschen brachte
    Das war mein Köpfchen, weich und sachte.
    Drum hat’s auch so die Form verloren
    Die anders war, als ich geboren.
     
    Es gab mehrere Briefe aus Sleen. Der früheste, vom 16.   März 1917, bezog sich auf eine Wochenpflege im Januar jenes Jahres – wieder Monate nach der in Den Haag. Schwager Jacobmusste einige Einsätze übergangen haben, oder vielleicht hatte er sich nur an die spektakulärsten erinnert?
    In einem zweiten Brief aus Sleen ging es um eine Pflegeanfrage für Mai. Annetje muss sich also monatelang in Sleen aufgehalten haben.
    Es gab auch ein Foto von Dezember/Januar 1916   /   1917 aus Zweelo – wieder so ein unwahrscheinlicher Ort (der übrigens in Jacobs Säuglingsparade nicht vorkommt). Ein altes Mütterchen sitzt vor einem Bauernhof, in Tracht, mit Mütze und Trachtenspiegeln. Annetje, in Pflegerinnenschürze, steht hinter ihrem Stuhl. Sie blickt in die Ferne, hinaus aufs flache Ackerland. Sie sieht etwas schmal aus, aber nicht traurig. Eher munter.
    Vielleicht die Oma eines Pflegebabys?
    Annetje hatte neben das Foto eine der gedruckten Karten geklebt, die sie als private Wochenpflegerin benutzte:
TARIFE
von
Schwstr. A.   Beets, dipl. Wochenpflegerin.
    Auf der Rückseite stand das Honorar, das sie für diese Periode erhalten hatte, komplett mit Reise- und Unkosten und dem Namen der Patientin: eine Frau Lubbers-Boetting.
     
    Vom 16.   Dezember 1916 bis einschl. 18.   Januar 1917
    34   Tage à
f
4 =
f
136.–
    Reise Arnheim-Hoogeven
f
3.15
    Hoogeven-Arnheim
f
3,75   Tarif 20   % erh.
    Drent’sche Tram
f
1,20
    Wäsche von 14   Tagen à 10   Cent pro Tag
f
1,40
    Insgesamt
f
136 +
f
9,50 =
f
145,50
     
    Ich fand auch einen Brief aus Zweelo, verfasst von derselben alten Dame, von August 1917 – wieder Monate später.
     
    Liebe Schwester Beets, endlich komme ich dazu, Ihnen zu berichten, wie es um mich steht; ich habe auch noch damit gewartet. Das Rheuma und die Steifheit in den Beinen sind schon etwas besser, aber nicht weg, und davon werde ich wohl auch nicht mehr loskommen, sagt Dr.   Hadders. Aber ich merke schon, dass ich ansonsten zu Kräften komme, ich habe immer einen gesegneten Appetit. Doktor Hadders ist hier außerordentlich beschäftigt; aber Doktor van Reemst kommt gar nicht mehr, wie mir scheinen will.
    Wie sehr bedaure ich es, dass Sie nicht einmal kommen können, um hier zu übernachten, wegen der schlimmen, hässlichen, kostspieligen Zeiten. Sie bräuchten auch keine Brotkarte mitzubringen, für eine Person haben wir immer genug und Gemüse und Kartoffeln selber im Garten, und Beeren und Himbeeren im Überfluss, dass ich davon noch eine ganze Menge weggegeben habe und selber mehr als genug für Beerensaft und Gelee. Oh, ich wünschte, Sie würden noch einmal hierherkommen, es ist zur Zeit so schön in Zweelo, und dann gingen wir auch einmal nach O., das würde Gonda auch gut gefallen   …
     
    Annetje hatte um den Jahreswechsel 1916   /  

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