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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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sorgen.‹ Daraus sollte man schließen können, dass Oud sie jetzt, da er sein Ende nahen fühlte, doch mit Geld oder Wertpapieren bedacht haben könnte.
    Nach einer Periode scheinbarer Genesung starb Oud, immer noch ziemlich unerwartet, am 1.   September 1939.   Ann war zu dem Zeitpunkt einundfünfzig. In der Todesanzeige steht sie, nach Ouds Söhnen, deren Familien und der weiterenVerwandtschaft ganz unten, bezeichnet als
Annetje Beets, Hausgefährtin.
    Zeit zum Trauern gab es nicht. Das Haus am Overtoom sollte verkauft werden. Was die Söhne nicht für sich forderten, musste weg – oder mit in das Haus, das Christiaan Mansborg, nach dem plötzlichen Zusammenbruch seiner Ehe mit Pij, überstürzt in Zandvoort gemietet hatte. Es war das Haus, wo er nur wenige Wochen später Annetje begrüßen und zu seiner dritten rechtmäßigen Ehefrau machen sollte.

Zweiter Teil

Intrigen
     
     

Rivalinnen
     
    Nachdem ich mein Material über die Zeit am Overtoom ausgewählt und geordnet hatte, stieß ich auf eine Lücke: Und das war Pij.
    Was wusste ich eigentlich von meiner ›echten‹ Oma, außer dass mein Vater sie hasste, weil sie in seiner Jugend einen Liebhaber hatte, den ebenfalls geschmähten Pim, den sie nach der Scheidung von Großvater notgedrungen heiratete? Ich erinnerte mich an den Zorn meines Vaters, wenn ein Brief oder ein Anruf von seiner Mutter kam; an seine entrüsteten Geschichten; an seine hämischen Reaktionen, wenn an Geburts- und Festtagen pünktlich ihre Päckchen kamen, bedeckt mit Adressen und eingehenden Hinweisen für den Postboten, in schlaufigen, schwungvollen Buchstaben, frankiert mit einem Vielfachen des benötigten Portos. Mein Vater hielt dann die selbst gestrickte Krawatte, die Wildlederhandschuhe oder die neue Unterhose Marke Jaeger mit seinen langen Armen hoch und äffte seine Mutter nach. Den Mund gequält verzogen, die Halsmuskeln in wilden Zuckungen, heftig schluckend, mit hervorquellendem Adamsapfel, züngelnd wie eine Schlange: »Junge, ziehst du dich auch warm genug an? Junge, trägst du auch eine lange Unterhose?«
    Aber wie war es Pij in ihren jungen Jahren ergangen? Wie hatten sich ihre und Oma Annetjes Wege gekreuzt? Ehe ichmich an Spekulationen wagen wollte über das, was man als Annetjes zweite große Liebe betrachten könnte, nämlich die zu Christiaan Mansborg, musste ich erst einmal diesen fehlenden Faden aufnehmen.
    Meine Erinnerungen an ›Oma Overtoom‹ sind dürftig und bruchstückhaft, die Gelegenheiten, an denen ich sie leibhaftig gesehen hatte, konnte ich an den Fingern zweier Hände abzählen. Wenn sie Geburtstag hatte, fuhren wir manchmal alle zusammen nach Amsterdam. Kaum waren wir am Overtoom ausgestiegen, sahen wir auch schon das kreidebleich gepuderte Gesicht sehnsüchtig zwischen den Gardinen nach uns Ausschau halten. An der Tür warf sie sich zuerst immer in die abwehrenden Arme meines Vaters Lepel. Nach dem unentrinnbaren Kuss auf seinen Mund, den er widerlich fand, wischte er sich vor versammelter Gesellschaft die Lippen ab. Und zuallerletzt, nachdem wir Kinder gedrückt und geherzt worden waren, wurde meine Mutter Mary kühl begrüßt.
    In meinem allerersten Tagebuch, das ich kürzlich wiederentdeckt habe, fand ich noch einen Bericht von so einem Besuch.
     
    Wir betraten das stickige Zimmer, und dort saß der berüchtigte Pim vor seinem Schachbrett in seiner gestreiften Hausjacke. Seine blauen Augen schienen noch glupschiger geworden zu sein und sein Haar noch schütterer. Er hatte es sich ordentlich über den Schädel gekämmt, damit es noch nach was aussah. Er sah nicht auf, um uns guten Tag zu sagen, rief nur: »Pij! Pij!«. Oma Overtoom flüsterte »psst«, dass er angeblich taub sei, aber immer alles verstehe. Sie zog uns mit zum hinteren Zimmer, das noch dunkler ist, voll mit Vasen und Figuren und Bildern aus Indonesien. Der Bücherschrank ist voll mit französischen Romanen, Pappi nennt sie ›die gelben Bändchen‹. Er sagt, Oma Overtoom bildet sich ein, sie sei Madame Bovary.
    Sie erkundigte sich nach Pappis Blutdruck, und er knurrte, sein Blutdruck sei bestens. Diesmal sagte sie nicht einmal: »Junge, was siehst du blass aus«, worauf wir schon alle gewartet hatten. Mammi überreichte ihr die Vase zu ihrem Geburtstag, und dann wollte Lepel auch schon wieder weg.
     
    Genau ein einziges Mal übernachtete ich am Overtoom, ich war damals gerade zwölf. Mein Vater hatte in Amsterdam einen Kongress, und ich durfte aus irgendeinem Grund mit. Er

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