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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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bezog mit ihren Jungen ein Haus auf einem größeren Grundstück gegenüber, wo sie eine Pension für wohlhabende Damen einrichtete. Das Projekt kam nur mühsam in Gang. Es bedeutete viel Arbeit für Vera, Öfen heizen, kochen für viele, die Dienstmädchen auf Trab bringen.
    Es ist bemerkenswert, dass Vera das größere Grundstück, wohin die Familie zog, trotz ihrer prekären Lage anscheinend doch hatte bezahlen können. Allein schon die ganze Einrichtungder zu vermietenden Zimmer, das Geschirr, die Öfen, die Betten und das Bettzeug müssen eine ordentliche Stange Geld gekostet haben, und die Pension würde nicht so bald etwas einbringen. Es war nicht anders erklärlich: Auch diesmal war der alte Oud der Familie zu Hilfe gekommen.
    Wie angeschlagen dieser durch das Drama war, geht aus demselben Brief von Lous an Annetje hervor:
     
    Fand Vater es neulich noch ein bisschen nett? Ich tat schon mein Bestes, und Ko tat auch, was er konnte, aber das war nur wenig. Es ging ihm miserabel. Er ging so niedergeschlagen weg, wie ein kleiner Junge   …
     
    Wie Annetje auf den Tod ihres Schwagers reagiert hat, scheint nirgends dokumentiert zu sein. Ebenso wenig wie Piet Ouds Reaktion auf die Ereignisse. Aber in einer Briefkarte vom September 1924 an seine frühere Geliebte, in der er sie einlud, gemeinsam den Prinsjesdag, die feierliche Parlamentseröffnung durch die Königin, zu verbringen, war schon ein neues Entgegenkommen zu spüren. Vielleicht war es ein Versuch, sie etwas aufzumuntern.
     
    Liebe Ann, bereits seit langem habe ich Dir versprochen, Dir einmal die Gelegenheit zu geben, der Parlamentseröffnung im Rittersaal beizuwohnen. Letztes Jahr ging es nicht, weil ihr damals gerade auf Reisen wart. Solltest Du diesmal Lust haben (das Datum ist Dienstag, 16.   September), dann steht die Karte zur Verfügung. Du kannst nach Wahl Dienstagmorgen aus Amsterdam kommen oder Montagabend und dann bei uns übernachten. Auf jeden Fall rechnen wir damit, dass Du, wenn Du kommst, Dienstag mit Kaffee und Essen unser Gast sein wirst, es sei denn, Du gehst lieber zu Deinen Eltern, was wir natürlich auch gut verstehen können.
    Uns geht es allen gut, und wir hoffen, dass dies am Overtoomauch der Fall ist. Ich hatte bei Vaters Geburtstag noch einen wirklich anregenden Nachmittag bei euch verlebt. Der Zug hatte nur eine halbe Stunde Verspätung; alle Trams waren schon weg, so dass ich per Taxi nach Hause musste. Das war es mir freilich wert für das gemütliche Stündchen, das ich länger bleiben konnte. Viele Grüße an Opa und Gerrit, auch von Jo und Hein, Der Dir stets zugeneigte Piet
     
    Annetje blieb beim alten Oud. Die Turbulenzen in ihrer Beziehung waren aus den Nikolaus- und Geburtstagsgedichten abzulesen, die Oud traditionsgetreu für sie niederschrieb. Sein Gedicht zu ihrem achtunddreißigsten Geburtstag im Jahr 1926 schien auf ihre turbulente Liebesbeziehung mit seinem Sohn anzuspielen, die ihr immer noch Probleme machte:
     
    Ruf Vergangenes zurück nicht mehr
    Lass sie ruh’n, die alte Zeit
    Lern zu leben im Heut und Hier –
    Ohne Reu’ und Traurigkeit!
    Ein jeder hat Erinnerungen, von denen er nicht spricht, doch die in seiner Seele weiterleben, Gedanken, die das stärkste Herz erweichen, einen Schleier vor die Augen ziehen –
     
    H.   C.   Ouds Gedicht fiel dieses Jahr länger aus als üblich und ging in einen Brief über:
     
    Dein Arbeitskreis ist schwieriger geworden. Mein Alter – im Vergleich mit dem Deinen – fliegt schneller dahin. Die Auffassungen im fortgeschrittenen Alter werden ›konservativ‹, und der Blick verliert an Weite. Ich genieße gegenüber vielen noch ein Privileg, das erfahre und sehe ich täglich – und doch kann auch ich mich gegen die Anzeichen, die sich in unserm Altersunterschied zeigen, nicht wehren, und das wird auch die Ursache sein, warum der Wagen nicht mehr startet – das Anpassungsvermögenwirkt jetzt bremsend. Wir müssen uns anstrengen und uns bemühen, uns – soweit es möglich ist – ineinander zu fügen. Ich habe das Bedürfnis, Dir heute wieder einmal zu sagen, dass Du in den Jahren, die Du bei mir warst, so viel Sonne geschenkt hast – und dass ich da auch sehr oft dran denke. Je mehr mein Alter fordert, desto weniger merkst Du das vielleicht selbst, wenn überhaupt.
    Aber jetzt, meine liebe Ann, mit einem Kuss auf beide Wangen, sei von Herzen beglückwünscht! Glaube ruhig, und das weißt Du auch, dass es mein brennendster Wunsch ist, dass Du noch einmal das

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