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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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und ich sollten zusammen in der Dachkammer schlafen, in dem einzig vorhandenen Bett. Ich musste schon früh hinauf. Ich versuchte, wach zu bleiben, bis auch mein Vater nach oben kam, aber anscheinend gelang mir das nicht. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, aber mein Tagebuch berichtet:
     
    Mitten in der Nacht bin ich von ihren Stimmen auf der Treppe aufgeschreckt. Oma Overtoom wollte schreien, aber sie klang heiser – sie hat ihre Stimme früh verloren, wo sie doch auch gesungen hat und auf dem Konservatorium sogar Unterricht von Opa bekommen hat. Ich hörte irgendwas von wegen ›den Beweis‹. Pappi war rasend. »Du mit deinen krankhaften Anschuldigungen. Als hättest du das nicht alles selber ins Rollen gebracht.
Du
warst doch diejenige, die weggegangen ist
. Du
hast uns unversorgt zurückgelassen«, die bekannte Geschichte.
    Oma Overtoom war den Tränen nahe. Sie sagte: »Es war eine List, Junge. Es war eine List von ihr. Junge, warum willst du denn deiner Mutter nie glauben?«
    Sie tat mir leid, aber Pappi schrie: »Du bist ja krank. Du gehörst in die Anstalt! Das ist doch eine fixe Idee, weiter nichts!«
    Oma Overtooms Stimme überschlug sich: »Hier. Lies. Lies es, Junge!«
    Dann riss Pappi die Tür zu unserm Zimmer auf, das Licht war so grell, dass ich mir die Hände schützend vor die Augen hielt. Ichstellte mich schlafend. Ich hörte ihn keuchen, während er sich im Dunkeln auszog und dann ins Bett stieg. Eine Weile lag er still da, dann fing er an, sich so zu wälzen, dass das Bett ächzte und knarrte, warf sich von einer Seite auf die andere, und ich durfte auf der Matratze mittanzen.
    Doch muss ich wieder eingeschlafen sein. Morgens brachte Oma Overtoom uns eine Schale mit Brötchen ans Bett, ziemlich altbacken und mit wenig Butter. Ich hab nur eins runtergekriegt und Pappi ein halbes. Er musste schon früh zu seinem Kongress. Als ich nach unten kam, war Pim nicht daheim. Ich war noch nie mit Oma Overtoom allein gewesen und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Zum Glück hatte sie eine Schachtel mit Silberpapier, Zigaretten- und Schokoladeverpackungen, Pralinenpapier und Milchflaschenverschlüssen, das musste alles zu Kugeln zusammengedrückt werden, für die Blinden.
    »Das scheint mir jetzt aber eine hübsche Arbeit für dich«, sagte sie, weil sie anscheinend auch nicht recht wusste, was sie sonst sagen sollte.
    Das Silberpapier roch so scharf, dass ich es an meinen Zähnen spürte. Oma Overtoom hat mich ständig betrachtet. Sie lächelte mir immer freundlich zu. Sie erkundigte sich nach meiner Schule. Zum Glück hatte ich gerade das Referat gehalten, und so hatte ich was Nettes zu erzählen, denn ich hatte eine Zwei dafür bekommen. Sie fragte, ob ich Musik liebe. Was für eine Frage! Sie weiß doch, dass ich Sängerin werden will.
    Sie fragte, wer mein Lieblingskomponist ist. Ich sagte natürlich: Schubert.
    Und dein Lieblingslied?
    Der Atlas!, sagte ich, und Oma Overtoom nickte, als würde sie das Lied auch kennen. Vielleicht ist es ja auch ihr Lieblingslied. Es fuhr eine Straßenbahn vorbei, danach war es so still im Haus, dass mir nichts mehr einfiel, was ich noch sagen könnte. Ich glaube, Oma Overtoom musste weinen, denn auf einmal stand sie auf, ging zum Fenster und starrte hinaus.
    Dann kam Pappi wieder, und dann ging das alte Lied wieder los: Du hast deine Familie im Stich gelassen.
    Oma Overtoom sagte: »Du warst doch schon achtzehn, Junge. Du warst doch kein Kind mehr.«
    »Du musstest unbedingt mit diesem   … diesem   …«, sagte Pappi und meinte natürlich Pim.
    »Das hat damals schon lange nichts mehr bedeutet«, sagte Oma Overtoom.
    »Als du mit dem Schuft was angefangen hast, war ich fünf!«, schrie Pappi.
    Da kam Pim plötzlich ins Zimmer. Wir hatten ihn nicht die Treppe hochkommen hören. Wir gingen dann schnell weg, aber als wir schon auf der Straße standen, rief Oma Overtoom noch, dass sie ihn immer geliebt habe, und damit hat sie wohl Opa gemeint. Ich fand es eine ziemlich traurige Geschichte, aber Pappi war immer noch böse.
     
    Pij hatte ihre Untreue teuer bezahlen müssen, das war mir damals schon deutlich gewesen. Auch die Passage über den ›Atlas‹ überraschte mich jetzt. Mein Großvater war schon seit Jahren tot, als ich diesen kleinen Bericht schrieb. Jetzt sah ich es wieder vor mir, hörte wieder, wie er das Lied gesungen hatte. Die deutschen Worte konnte ich damals noch nicht verstehen, aber der wackelige Bass, das wüste Geflatter von Haaren und

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