Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
Vom Netzwerk:
will ich mit Dir genießen und alles aus dem Leben herausholen, was drin ist. Wird die Zeit jemals kommen?
     
    War die Zeit jemals gekommen? Der Bruder meiner Mutter hatte nach dem Krieg in Delft studieren dürfen, aber da war sie schon längst verheiratet. Die Kälte, die Langeweile, die ewige Bedrohung, die Dunkelheit   … und 1944 mussten sie ihr Haus verlassen. Nach der Befreiung stellten sie fest, dass es ausgeräumt worden war, die Möbel kurz und klein geschlagen, Marys Schallplatten – von Beethoven bis zu den
Ramblers
– über den Balkon geschmissen, einige zerbrochen, andere kaputt gespielt, die Hüllen grau von Feuchtigkeit und Staub. Das Klavier wurde allerdings entgegen ihren Erwartungen wiedergefunden, im Garten der Nachbarn, nicht einmal irreparabel ramponiert.
    Ich musste schon lächeln bei Marys Berichten über das ständige Verschieben der Möbel, das wir von später so gut kannten, von Vosseveld:
     
    Als ich nach Hause kam, hatten die Eltern die Zimmer wieder so umgestellt, dass es hier genauso aussah wie im Dezember, als Du da warst. (17.   Januar 1941)
     
    Endlich stieß ich auf die erste Erwähnung von Vosseveld, in einem Brief vom 30.   September 1940.   Mary schrieb:
     
    … Unglaublich schön wäre es, wenn ihr näher hierherziehen würdet. Ich bin schrecklich neugierig auf ›das Haus‹ und warte sehnsüchtig auf den versprochenen Anruf!
     
    Über die finanziellen Aspekte berichten Marys Briefe nichts: Die hatten sie sicher auch nicht interessiert. Allerdings schien der Kauf von Vosseveld nicht gerade reibungslos zu verlaufen. Davon hatte ich bisher nichts gewusst. Bei all den Geschichten über das junge Glück war die Geschichte des Hauses stets unterbelichtet geblieben. Am 4.   November schrieb Mary:
     
    Warum dauert es denn so lange, bis ihr etwas über das ›Vosje‹ hört? Oder hast Du mich ein bisschen vergessen? Es wäre in der Tat eine tolle Idee, wenn Du das Kutschhaus für Dich allein kriegen könntest.
     
    Erst scheint es, als würde es mit dem Haus klappen, aber dann kommt Sand ins Getriebe.
     
    … Was für ein schrecklich gemeiner Streich von diesem De Vries! Wenn ihr wirklich bis März ’42 in Zandvoort bleibt, dann such ich mir aber einen anderen Galan! Für Tante Ann und Onkel Christiaan scheint mir das auch alles andere als angenehm zu sein, ein gutes Jahr warten zu müssen, bevor sie in ihr Haus können.
     
    Endlich, am 28.   Januar 1941, schreibt Mary:
     
    … Wie herrlich, endlich Sicherheit wegen Vosseveld! Jetzt können wir zumindest Luftschlösser bauen. Hast Du schonangefangen, Deine Sachen zu packen? Unglaublich, dass Du doch Dein Kutschhaus kriegst. ›Vosseveld‹ – das klingt so echt! Ja, ich bin auch ein bisschen dünkelhaft, wie meine geliebte Tante!
     
    Neugierig suchte ich nach den ersten Eindrücken von dem Haus. Aber am 1.   April 1941, eine volle Woche nach dem Umzug, war Mary noch immer nicht auf Vosseveld gewesen. Es war etwas mit Oma Annetjes Fuß.
     
    Gerade Deinen Brief erhalten. Wie bedauerlich, das mit Tante Anns Fuß! Wie schafft sie das nur? Eine Marmorplatte! Hat sie noch Schmerzen?
     
    Am Palmsonntag – 6.   April 1941 – übernachtet Lepel bei Mary in Arnheim. Kurz vor Ostern soll sie endlich nach Vosseveld kommen, aber da, so sah ich, war wieder ein neues Unglück geschehen.
     
    Wie fürchterlich schade, das mit Onkel Christiaan. Ich hoffe schrecklich, dass er zu Ostern wieder nach Hause kommen kann. Liebster, ich bin froh, dass ihr mich trotzdem empfangen wollt, ich verlange so danach! (9.   April 1941)
     
    ›Nach Hause kommen kann.‹ Großvater hatte demnach anscheinend in einem Krankenhaus gelegen. Allzu ernst konnte es nicht gewesen sein: Am Tag vor Marys Besuch war er schon wieder zu Hause.
    Zu Ostern, als Lepel und Mary sich sehen und sprechen konnten, schweigt die Berichterstattung natürlich. In ihrem ersten Brief nach ihrer Abreise, vom 15.   April, erwähnt Mary die ›herrlichen Tage‹, die sie verlebt hätten. Es entstehen immer mehr Lücken im Briefwechsel, weil das Paar sich jetzt öfter sieht: Lepel fährt mit dem Fahrrad nachArnheim und bleibt dort übers Wochenende. Am 8.   Mai schreibt Mary:
     
    Geht es immer noch gut mit Onkel Christiaan? Du hast gar nichts mehr drüber geschrieben.
     
    Am 13.   Mai fragt Mary erneut nach Lepels Vater – und jetzt ist wirklich etwas gar nicht in Ordnung.
     
    … Lieber Schatz, ich hab Deine 2   Briefe empfangen. Wie schrecklich, das mit Deinem

Weitere Kostenlose Bücher