Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
Vom Netzwerk:
gerade in schlechten Zeiten, wie sehr man sich liebt und wie sehr man sich gegenseitig braucht.
    Jetzt wage ich es kaum, an morgen zu denken. Was werden uns die kommenden Tage bringen? Es ist jetzt Montag, und Donnerstag sind wir offiziell für die Außenwelt Braut und Bräutigam. Gestern, Sonntag, war ein schrecklicher Tag, einer der grauenhaftesten Tage, die ich je erlebt habe. Was war es doch für eine große Erleichterung, als ich endlich sein Pfeifen hörte. Heute Morgen ist er wieder gegangen. Grauenhaft, dass er jetzt allein ist, er nimmt sich alles so zu Herzen; er hat aber auch abscheuliche Dinge erlebt. Oh, wann wird die Welt endlich wieder normal sein, wann können wir der Zukunft unbesorgt entgegensehen?!
     
    Warum hatte ich meiner Mutter vor ihrem Tod keine Fragen gestellt, ausgehend von diesem Tagebuch? Sie hatte es mir sicher nicht ohne Grund mitgegeben, als ich sie besuchte. Vielleicht hatte sie darüber reden wollen. Was war schiefgelaufen? Hatten die Deutschen meinen Vater zu einem Arbeitseinsatz einziehen wollen? Vielleicht war er nur ganz knapp darum herumgekommen. Vielleicht hatten die ›abscheulichen Dinge‹, die er erlebt hatte, aber auch etwas mit Großvaters Krankheit zu tun. Oder hatte sich etwas zwischen den beiden ereignet?
    Ihre Heirat wäre ja beinahe nicht zustande gekommen.
     
    Meine Mutter nahm ihre Aufzeichnungen erst im Sommer 1949 wieder auf. Ich war damals drei, Lieske zwei, Bennie war unterwegs. Sie war alleine mit uns auf Vosseveld, ohne Lepel.
     
    … hoffentlich lässt er mich nicht wieder so lange allein. Es sind jetzt schon 3   Wochen, und mir reicht’s. Vielleicht doch heute? Morgen ist Sonntag, sonnabends reist er natürlich lieber nicht. Ich rechne dann also mit noch zwei einsamen Nächten. Mich verlangt sehr nach geistiger Ruhe. Aber ich habe manchmal soschreckliche Angst, dass eine noch viel schwierigere Zeit anbrechen könnte. Ich will gerne aufbauende Gedanken haben, vor allem wo ich ein Baby erwarte. Aber er schrieb, dass er zwei Karten kaufen will. Was soll das denn bedeuten??? Die Freundschaft war doch jetzt vorbei? Was sehne ich mich doch danach, endlich eine vereinte Familie zu haben. Wann   …? (3.   August 1949)
     
    Die Ehe war in eine Krise geraten. Anscheinend war eine dritte Person im Spiel. Ich hoffte, darüber etwas Näheres zu finden, aber das Tagebuch wurde erst im September 1951 wieder aufgenommen. Ich war damals schon fünf, Lieske vier – und Lepel war wieder alleine auf Urlaub.
     
    Sonntag, 16.   September 1951.   Wir sind jetzt seit Freitag in Vosseveld, die Mädchen und ich. Ohne Bennie, der sich in Arnheim vorbildlich benimmt ohne meine Anwesenheit. Für alle Parteien also eine Atempause. Herrlich, mal ausschlafen zu können und nicht um halb 7 für Bennie rauszumüssen. Von Lepel gute Nachrichten, er amüsiert sich gut. Es ist jetzt nach acht, und die Mädchen liegen im Bett. Ich sitze oben in meinem Zimmer und schreibe beim warmen Licht einer Kerze und der roten Lampe, die früher am Overtoom hing. Lieske hat Angst vor dem Dunkeln, sie schläft im großen Bett neben mir. Emma ist noch wach, ich sehe ihre frechen Augen vom Schrank aus herüberblicken. Ann sitzt unten mit ihren Kreuzworträtseln, und Schwiegerpapa ist in seinem Musikzimmer. Die Dämpfer am Flügel wurden für eine Reparatur entfernt, und wenn man jetzt ein paar Tasten anschlägt, dann fließen die Töne hässlich ineinander. Dennoch wagt er es ab und zu, dem ramponierten Instrument einige Klänge zu entlocken. Dann klingen geisterhaft hohle Töne durchs Haus. Schon passend für die Zustände hier, was ist das Alter doch grausam, wenn der Mensch so abbaut!
    Ich habe manchmal große Sehnsucht nach Lepel. Vielleicht binich wie der Flügel, ein seltsames, nutzloses Instrument, wenn er nicht bei mir ist.
     
    Lepel hatte also Mary wieder allein mit uns nach Vosseveld abgeschoben. Aber wollte er Vosseveld entfliehen oder Mary? Seinem Vater mit all seinen Problemen oder Annetje?
    Beim Lesen von Marys Bericht kamen wieder alle Erinnerungen hoch. Das alte Gästezimmer, der Urhafen unserer Welt. Das französische Bett, das Nachtschränkchen mit der Alabasterfigur von Apollo und Daphne, die ich als Kind für innig ineinander verstrickte Freundinnen hielt. Der Dachkammerschrank, in dem wir Kinder auf einer Matratze schliefen und von wo aus wir Mary sehen konnten, wie sie bei der roten Lampe mit den Bommeln lag und las.
    Nur Lepels Briefe konnten Aufklärung bringen. Ich fing

Weitere Kostenlose Bücher