Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
an, den Stapel vollgeschriebener, schwer zu lesender Blätter durchzupflügen. Die philosophischen und literarischen Abhandlungen konnte ich mir schenken; ich suchte nach Berichten über Vosseveld.
Am 26. September 1940 schrieb er an Mary:
… übrigens richte ich mich hier ein, als hätte ich vor, die nächsten fünfzig Jahre hierzubleiben. Während Ann und ich notabene einen viel schöneren Plan ausbrüten. Ann will nämlich ein Haus kaufen, bevor das Geld nichts mehr wert ist. Das muss in nächster Nähe von Amsterdam sein, weil ich jede Woche dort hin muss. Ann ist dafür auch sehr zu haben, nur Vater kann dem noch nicht so viel abgewinnen. Aber nach sorgfältigen Vorbereitungen, die unser sämtliches strategisches Können erfordern, haben wir ihn jetzt schon so weit, dass er ein paar Agenturen anschreiben will! Natürlich bleiben wir diesen Winter noch in Zandvoort, aber es ist nicht unmöglich, dass wir kommendes Frühjahr umziehen. Das Schönste ist natürlich, dass ich dann so viel näher bei Dir sein werde!
Es war also Annetjes Idee gewesen, ein Haus zu kaufen. Das war mir neu. Ich hatte die Erzählungen immer so verstanden, dass Großvater derjenige gewesen sei, der sich auf den ersten Blick in Vosseveld verliebt und darauf bestanden hatte, dort einzuziehen; so wie ich auch irrigerweise angenommen hatte, dass das Haus ihm gehört hatte.
Annetje hatte sich sogar mit ihrem Stiefsohn verschworen, um Großvater für den Plan zu gewinnen.
Neben einigen amüsanten Anekdoten enthielten Lepels Briefe vor allem sehr anschauliche Berichte über die zunehmende Spannung rund um den Kauf des Hauses.
... Beim Luftschutz finden große Veränderungen statt. Unterzeichneter lieferte heute Nachmittag seinen Krempel ab, zusammen mit einem Entlassungsgesuch und einem ärztlichen Attest, das ich noch von der Milizmusterung hatte. Ich bekam sogleich zu hören, dass, mit oder ohne Attest, Entlassung unmöglich sei, es sei denn, ich gehe nach Deutschland oder irgendwo anders hin. Worauf ich natürlich gleich mit eiserner Miene erklärte, dass wir demnächst umziehen würden. Und ich bin tatsächlich davongekommen! (10. Oktober 1940)
... Ganz wie wir erwartet haben, ist das Obergeschoss von Vosseveld ein Problem. Zwei Schlafzimmer. Eigentlich hatten sie schon ganz verzichten wollen, weil wir keine Übernachtungsgäste unterbringen könnten, aber dann hatte Ann eine tolle Idee. Die Garage ist nämlich gar keine Garage, sondern ein Kutschhaus. Solide gebaut, mit Heizmöglichkeit, völlig freistehend, mit einem Rieddach! Wenn wir Vosseveld kriegen, werde ich in meinem eigenen Haus daneben wohnen!
(21. Oktober 1940)
… Immer noch keine Entscheidung. Natürlich brenne ich sehnsüchtig darauf, Dir von dem Haus zu berichten. Aber ich beherrschemich, da wir noch nichts sicher wissen. Eigentlich dachten wir, es Donnerstag schon in Händen zu haben, als auf einmal der derzeitige Mieter mit einem gemeinen Streich daherkam. Während seine Frau Vater gesagt hatte, dass sie auf die übrigen drei Jahre ihres Mietvertrags verzichten wollten, erklärte dieses Ekel plötzlich, dass er nicht daran denke, zum März auszuziehen, wenn er nicht seinen Umzug vergütet bekommt. Jetzt ist der Makler dabei, zu unterhandeln, und wir warten sehnsüchtig auf Neuigkeiten. Vater schläft nicht. Ann schläft nicht und ich schlafe nicht! Außerdem sitzen wir jede Nacht in gewaltigem Feuerwerk, und die Fensterscheiben haben noch nie so viel geklirrt. Wir kriegen allmählich Probleme mit unsern Nerven … Montagmorgen. Dies ist wirklich ein sehr eintöniger Brief. Es friert gewaltig, mein Ofen ist aus, und ich sitze mit Handschuhen an der Schreibmaschine.
Ha, Hurra! Ein Eilschreiben! Fortan bist Du verlobt mit Junker Mansborg zu Vosseveld! (29. Oktober 1940)
... So, meine Skizze von dem Haus ist fertig. Sie ist nicht so genau, aber Hauptsache, Du kriegst eine Vorstellung. In der Fassade befindet sich ein Giebelstein, die Klöntür mit Klopfer und antiker schmiedeeiserner Klingel ist wirklich sehr edel. Der Garten mit Obstbäumen und Kiefern ist leicht verwahrlost, aber man kann alles Mögliche draus machen. Der Pfirsichbaum, der dort wächst, hat dieses Jahr 500 Früchte getragen! Die Zimmer sind verteufelt schön. Stell dir schon mal ein offenes Holzfeuer vor, in einem Zimmer mit niedriger Eichenholzdecke und vielen Fenstern. Ich denke, dass es unglaublich gemütlich wird! (30. Oktober 1940)
... wirklich
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