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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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hatte, vorbeikam. Oma Annetje habe ihn angerufen: Großvater sei vor wenigen Minuten gestorben.
    Die genaue Todesursache wurde nie festgestellt, wie mein Vetter Philip bei Omas Beerdigung schon gesagt hatte. Onkel Henks Bericht brachte wenig Aufklärung. Doch Oma Annetje war in seiner Sterbestunde mit ihm alleine gewesen. Dann hatte er also von ihr die Spritze bekommen gegen ›Schmerzen in der unteren Körperhälfte‹, wie Onkel Henk schrieb. Untere Körperhälfte. Aber in welchem Teil davon – Beine, Bauch, Füße – blieb vage.
    Wenn Oma Annetje bei Großvaters Sterben nachgeholfen hatte, war es ihr jedenfalls gelungen, jegliche Spur zu verwischen: Großvater wurde ja – recht revolutionär für jene Zeit – eingeäschert. Worüber Tante Rita in ihren Briefen noch ihre Verwunderung geäußert hatte. Oma Annetje zufolge ›wünschte Vater das selber‹ – so ein Brief von ihr an Onkel Henk zu der Frage. Für
die
Entscheidung hatte Oma Annetje ihn also für hinreichend zurechnungsfähig erachtet.
    Hier war nichts mehr zu beweisen. Die sogenannte Geistesverwirrung allerdings war eine andere Geschichte.
    Ich verschaffte mir eine Studie über
Pflege von Geisteskranken in den Niederlanden zwischen den beiden Weltkriegen
. Darin wurde ausführlich beschrieben, was man alles an Papierkram für so eine Zwangseinweisung brauchte. Eine Vollmacht des Bürgermeisters   – Zustimmung des Amtsrichters – eine Geistesgestörtheitserklärung – eine Überweisung eines unabhängigen Arztes.
    Da mussten also eine Menge Spuren geblieben sein. Ich rief beim Psychiatrischen Zentrum Willem Arntszhoeve an mit der Frage, ob die Akte von Großvater noch irgendwo aufzuspüren sei.
    Nein, lautete die Antwort. »Alles aus den Jahren ist schonseit langem vernichtet worden. Und selbst wenn es die noch gäbe, dann dürften Sie die nicht so ohne Weiteres einsehen. Die Akten fallen unter das Arztgeheimnis.«
    »Ist da wirklich nichts mehr?«, insistierte ich.
    »Es werden aus jedem Jahr immer ein paar Akten aufgehoben, für Untersuchungszwecke«, erzählte die freundliche Mitarbeiterin. »Die Chance, dass sich die Akte Ihres Großvaters da noch befindet? Das wäre schon ein Wunder.«
    »Wunder geschehen immer noch. Würden Sie wenigstens mal für mich nachsehen?«
    Die Mitarbeiterin zeigte viel Verständnis. Sie müsse an einem der nächsten Tage ja ohnehin ins Archiv. Dann wolle sie mal nachsehen, aber ich müsse zuerst schriftlich einen begründeten Antrag vorlegen.
    »Das werde ich tun.«
    Ich legte den Antrag vor. Es wurde nachgesehen. Großvaters Akte kam nicht zum Vorschein, aber seine Aufnahmekarte. Angesichts dessen, dass die offenbar nicht unter das Arztgeheimnis fiel, bekam ich eine Kopie zugeschickt.
    Großvaters Name, bürgerlicher Stand und frühere Ehen waren dort sorgfältig eingetragen. Wie auch das ›Datum der Einweisung in die Anstaltsabteilung‹: 15.   Juli 1941.   Ebenfalls sein Probeurlaub, schon nach drei Wochen, wonach Verlegung auf eine mildere ›Nervenabteilung‹ erfolgte. Ferner Datum und Art der Entlassung aus der Anstalt:
Am 15.   Oktober 1941 als hinrd. genesen entlassen.
    Hinreichend genesen – doch Großvater war bald wieder zurück in Zeist und musste dort bis Mitte 1942 bleiben.
    Die Aufnahmediagnose war nicht verzeichnet. Allerdings fand ich auf der Rückseite der Karte
Name und Vorname desjenigen, der die richterliche Ermächtigung zur Einweisung in die Anstaltsabteilung beantragt hat.
    Dort wurde kein Arzt genannt, kein Psychiater, kein beratenderMediziner. Dort stand lediglich:
Frau A.   Mansborg, Ehefrau, 52, geboren 25   –   8   –   1888.
    Annetje hatte ganz allein Großvaters Einweisung beantragt.

Das meuternde Haus
     
    Wir saßen uns gegenüber, ich mit den Papieren auf dem Schoß, die ich mitgebracht hatte: die Testamente von Oma Annetje und Großvater, ihr Ehevertrag, der bewusste Brief von Oud, doch mein Vater zeigte sich nicht sehr interessiert.
    »Großvater hatte achttausend Gulden von Oud erhalten«, begann ich noch einmal. »Vielleicht sollte er damit überredet werden, sich von deiner Mutter zu trennen und Oma Annetje zu heiraten.«
    »Das war Jahre später«, sagte mein Vater brummig.
    »Aber Ouds Brief ist von 1939! Geschrieben fünf Monate vor seinem Tod. Im November desselben Jahres hat sich Großvater von deiner Mutter scheiden lassen, und kurz darauf haben er und Oma Annetje geheiratet.«
    Lepels Fuß machte eine drehende Bewegung, ohne zum tatsächlichen Wippen

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