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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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überzugehen.
    »Die achttausend Gulden hat Oud an Großvater überwiesen«, fuhr ich fort. »Das Geld wurde später dazu gebraucht, um Vosseveld zu kaufen.«
    »Schon möglich«, entgegnete Lepel.
    »Doch das Haus war nur auf Oma Annetjes Namen eingetragen.«
    Lepel grinste. »Das Geld stand ihr ja
auch
zu.«
    »Dann hätten sie es doch auf beide Namen eintragen lassen können?«
    »Ach!«, sagte Lepel. »Das verstehe ich schon. Vater war ein notorischer Schürzenjäger. Er war ja schon zweimal geschieden. Er hatte immer Bewunderinnen. Die Nachbarmädchen in Soest waren sofort hin und weg von ihm. Wahrscheinlich hatte Ann Angst, dass er noch mal mit einer anderen davonläuft.«
    »In seinem Alter?«
    »Kurz davor war er ja auch Pij weggelaufen«, sagte Lepel listig.
    »Dazu hat der alte Oud ihn aber überreden müssen. Mit den achttausend Gulden.«
    »Da hab ich nie was drüber gehört«, reagierte Lepel verärgert.
    »Das kann schon sein. Du warst damals erst siebzehn, achtzehn. Aber später? Hast du den Braten denn nicht gerochen? Ich hab Marys Briefe noch einmal gelesen. All die Katastrophen auf Vosseveld. Erst der Unfall   …«
    »Unfall?«
    »Großvater hat sich ein Bein gebrochen, kurz nach eurem Einzug.«
    »Ach das.« Lepel sah mich ausdruckslos an. »Das stimmt. Er ist über die Schwelle eines Ladens gestolpert und unglücklich gefallen.«
    »Er hat damals im Krankenhaus gelegen, und kaum war er zu Hause, ist er ernsthaft krank geworden.«
    »Mein Gott, ja«, erinnerte Lepel sich. »Er war ganz schön krank. Aber   – Menschenskind. Das ist jetzt schon ein halbes Jahrhundert her.«
    »Ihr habt damals sogar um sein Leben gefürchtet.«
    »Ja. Er hatte eine Lungenentzündung. Sie hatten wohl im Krankenhaus ein Fenster offen gelassen.«
    Lepels Fuß wippte jetzt.
    »Im Mai hatte er sich davon erholt«, fuhr ich fort.
    »Ja«, sagte Lepel. »Davon hat er sich erholt.«
    »Aber kurz danach, im Juli, ist er plötzlich ›geisteskrank‹ geworden.«
    Lepel hatte sich zu seinem Hund gewandt, der durch das Wippen unruhig geworden war. »Nein, nachher, Hündchen«, besänftigte er ihn. »Nachher gibt dir Herrchen dein Fressen.«
    »Was hat Großvater eigentlich gefehlt?«
    Lepel hatte sich den Hund auf den Schoß gehoben. Sein hechelndes Maul verdeckte jetzt teilweise Lepels Gesicht. Er konnte jetzt nur noch mit einem Auge an dem Tier vorbeisehen – ein Bild, das ich nie vergessen werde.
    Ich sah ihm in das eine Auge.
    »Es war ein Notfall«, sagte Lepel und fingerte nach seinem Tabakbeutel. Dann begann er, sich eine Pfeife zu stopfen. Bildete ich mir das ein, oder zitterten seine Hände?
    »Notfall?«
    »Er war gefährlich! Ihm war im Haus nicht mehr beizukommen. Die Streits waren bis ins Kutschhaus zu hören   …«
    »Streits? Kein Wunder. Er hat natürlich entdeckt, dass Oma Annetje ihn bei dem Hauskauf übers Ohr gehauen hatte. Aber deswegen war er ja wohl noch lange nicht geisteskrank?«
    Lepel zündete seine Pfeife an. Das dauerte etwas.
    »Was waren denn die Symptome?«
    »Nach dem Unfall bekam er die Lungenentzündung«, sagte Lepel schließlich. »Dafür bekam er ein Mittel   – Dagenan hieß es, ja! Jetzt weiß ich es wieder. Ein neues Präparat mit hässlichen Nebenwirkungen. Davon bekam er einen wirren Kopf, und dann wurde es immer schlimmer   …«
    Lepel wurde durch einen vorbeikommenden Nachbarn auf der Straße abgelenkt. Es wurde genickt und gewunken, der Hund begann laut zu bellen.
    »So einfach war das aber nicht, jemanden einweisen zu lassen«,fing ich erneut an, als der Hund sich wieder beruhigt hatte. »Man musste eine Überweisung von einem unabhängigen Arzt oder Psychiater haben.«
    »Das ist auch geschehen. Das war   … tja, wie hieß der doch gleich wieder. Ein kleines, dürres Männchen war es. Ach ja. Doktor Wildvanck. Vater konnte ihn nicht ausstehen.«
    »Doktor Wildvanck? Das war doch euer Hausarzt? Mary erwähnte ihn in einem ihrer Briefe. Ihr habt euch sogar so gut mit ihm verstanden, dass er euch regelmäßig als Freund besucht hat. Wenn er Großvater in eine Anstalt überwiesen hat, dann hat er sich jedenfalls nicht an die Vorschriften gehalten.«
    Lepel zog bedächtig an seiner Pfeife.
    »Nein. Es waren davor schon zwei Ärzte bei ihm gewesen«, erinnerte er sich plötzlich. »Schon im April. Da laborierte er noch an der Lungenentzündung herum. Die haben damals schon festgestellt, dass etwas mit seinem Denkvermögen nicht stimmte.«
    »Damals schon?«, fragte ich

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