Frau Paula Trousseau
Pfennig. Sie steckte die Puppe in die Tasche und kehrtezum Ausgang zurück. Der Ladeninhaber stand an der Registrierkasse und unterhielt sich mit einer Frau. Paula blieb an den Gläsern mit den Glasmurmeln stehen. Vorsichtig griff sie nach einer, ließ sie in der Manteltasche neben ihrer Puppe verschwinden und ging weiter zum Ausgang.
»Hast du etwas gefunden?«, fragte der Mann.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du hast doch nichts gestohlen?«
Sie schüttelte nochmals den Kopf, wobei sie ganz rot wurde.
»Das nächste Mal bringst du deine Mama oder deinen Papa mit. Man muss immer einen Erwachsenen bei sich haben, einen, der ein Portemonnaie besitzt. Merk dir das fürs Leben«, sagte der Mann an der Kasse fröhlich.
»Das ist eine der Töchter von Plasterer«, sagte die Frau neben ihm, »Sie wissen doch, vom Schuldirektor.«
»Ach so. Na, dann grüß mal deinen Vater von mir. Vergiss es nicht, Kleine.«
Sie nickte und verließ das Geschäft. In der Molkenstraße sah sie Cornelia. Ihre Schwester lehnte zusammen mit Anne am Treppengeländer der Apotheke. Sie unterhielten sich so angeregt miteinander, dass sie Paula nicht bemerkten. Sie erstarrte, als sie die Schwester plötzlich vor sich sah. Sie hatte den Wunsch, zu ihr zu laufen, und wusste gleichzeitig, dass sie damit Cornelia wütend machen würde. Sie schaute einige Minuten zu den zwei Freundinnen, dann drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zu ihrer Freundin Katharina. Erst als es dunkel wurde und der Ratsdiener mit dem Fahrrad durch die Straßen fuhr, um die Gaslaternen anzuzünden, ging sie nach Hause.
Dort war nur ihre Mutter, die in der Küche saß und sie mit einem stumpfen Blick ansah.
»Warum hast du den Mantel angezogen? Willst du weggehen?«
»Nein.«
»Zum Rausgehen ist es jetzt zu spät. Es ist schon finster. Den ganzen Tag im Zimmer rumsitzen und aus dem Haus wollen, wenn es draußen stockduster ist, das gibt es bei mir nicht. Nimm dir bloß kein Beispiel an deinem Bruder. Da würde dir dein Vater was erzählen. Geh und zieh den Mantel wieder aus. Und sag Cornelia, sie soll mir zehn Mohrrüben aus dem Keller holen.«
»Cornelia ist aber…«, sie unterbrach sich selbst. Dann fügte sie hastig hinzu: »Die Mohrrüben kann ich holen.«
»Die Gummischuhe sind für dich viel zu groß.«
»Nein, das geht schon.«
»Na gut. Aber mach keine Unordnung. Und fass mir das Eingemachte nicht an. Die Gläser darf man nicht berühren, sonst schimmelt gleich alles.«
Sie legte den Mantel und die Schuhe ab und zog Mutters Gummischuhe an. Um auf den abgetretenen Holzstufen der Kellertreppe nicht auszugleiten, stieg sie vorsichtig hinunter, mit beiden Händen hielt sie sich an der Eisenstange fest, die als Handlauf an der Wand befestigt war. In dem schummrigen Licht einer Glühbirne stapfte sie langsam durch den Keller. Sie fürchtete sich vor den Mäusen und Spinnen. Bevor sie die Mohrrüben aus dem kleinen Hügel aufgeschütteter Erde zog, klopfte sie mit einer Schaufel mehrfach darauf, um die Mäuse und Käfer zu verjagen, die sie in dem Erdhügel vermutete. Dann schloss sie die Augen, steckte eine Hand in die lose Erde und suchte nach den Möhren. Als sie zehn Mohrrüben herausgezogen hatte, ging sie so eilig aus dem Keller, dass sie einen Schuh auf der Treppe verlor und auf Strümpfen nochmals hinuntergehen musste, um ihn aufzuheben.
»Hast du Hunger?«, fragte ihre Mutter. Sie saß noch immer auf dem alten Küchenstuhl, den Rücken gegen die Wand gelehnt.
»Nein.«
»Ich auch nicht«, sagte ihre Mutter, »aber ihr müsst etwas essen. Ich mache nachher gleich Abendbrot. Wenn es mir besser geht.«
»Soll ich die Tabletten holen?«
»Habe ich schon geschluckt. Habe schon fünf davon geschluckt. Hilft alles nichts. Ich glaube, ich werde mir mal einen kleinen Schnaps genehmigen. Nur so, als Medizin. Das hilft besser als diese dummen Tabletten.«
»Aber wenn Vater das merkt, dann gibt es wieder …«
»Ach was. Deinen Vater, den wirst du heute nicht mehr zu Gesicht bekommen. Hat wieder eine Nachtsitzung, der Herr Direktor. Die ganze Nacht durch.«
»Dann geh ich in mein Zimmer.«
»Ja, geh. Mir kann keiner helfen.«
Eine halbe Stunde später erschien Cornelia im Kinderzimmer. Paula sagte ihr, dass Vater und Clemens nicht zu Haus seien und ihre Mutter glaube, sie seien den ganzen Tag im Kinderzimmer gewesen.
»Und ich war für dich Mohrrüben holen. Damit Mutter nicht merkt, dass du fortgegangen bist.«
»War ja wohl nicht so
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