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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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dieses Stück Leinwand ganz schnell weg, ich will es nie wieder sehen. Und fang endlich an zu arbeiten. Ich möchte zu dem, was du mir gezeigt hast, kein Wort sagen. Ich möchte es gar nicht gesehen haben, das wird für uns beide das Beste sein.«
    »Sie sind unverschämt, Herr Professor Oltenhoff. Ich habe wochenlang, monatelang an diesem Bild gesessen …«
    Er fasste mich am Unterarm und zog mich zum Fenster. Er schaute hinaus, während er mit leiser Stimme fortfuhr: »Ich fürchte, du hast mich noch immer nicht verstanden, Paula. Schaff dieses Ding weg, bring es einfach weg. Lass es nicht in der Schule herumstehen, sonst wirst du Ärger bekommen, großen Ärger, und ich, als dein Lehrer, müsste mich auch noch verantworten. Das, was du als Winterlandschaft bezeichnest, das ist nicht das, was wir hier unterrichten. Das entspricht nicht dem Erziehungs- und Bildungsziel unserer Schule. Verstehst du mich endlich?«
    »Aber …«
    »Schluss und aus. Du bringst dieses Bild weg, und ich habe es nie gesehen. Ich meine es gut mit dir, Paula. Schon wegen Waldschmidt. An ihn solltest du auch denken.«
    Er starrte noch immer unverwandt aus dem Fenster, dann drehte er sich um und ging zu Katrin. MeineSchneelandschaft wickelte ich wieder ein und trug das Paket am Abend nach Hause in mein Atelier. Ich war wie gelähmt. Natürlich war mir klar, dass mein Ölbild anders war als alles, was uns an der Schule beigebracht wurde, es entsprach nicht der Norm, war nicht realistisch genug. Aber sie mussten doch erkennen, was mir gelungen war, sie müssten doch akzeptieren, dass es ein Bild war. Meine Kommilitonen waren aufgeschlossen genug, sich auf mein Bild einzulassen, doch die Herren Professoren wollten es nicht wahrhaben, für sie galt allein ihre Kunstauffassung, für sie existierte nur ihre Ästhetik. Aber wer Augen und Sinne hatte, sah, dass mein Bild eine Kraft besaß, einen Sog, dem man sich kaum entziehen konnte.
    Ich holte mir zwei große Pappdeckel aus Waldschmidts Materialraum und verpackte sorgsam mein Bild. Anschließend wickelte ich das Paket in eine Folie und stellte es in meinen Kleiderschrank. Ich wollte es nicht mehr sehen. Mehr als zwanzig Jahre später erst, als ich bereits in Kietz wohnte, hatte ich mich so weit im Griff, dass ich es auspacken konnte und für einige Wochen aufhängte.
    Als Waldschmidt nach Hause kam, machte er eine ironische Bemerkung. Er wusste von meinem Gespräch mit Oltenhoff, aber ich ging mit keinem Wort darauf ein, und nach ein paar Tagen sprach auch er nicht mehr von meinem weißen Bild. In der Schule fragte mich nur Petra nach dem Bild, für alle anderen war es rasch vergessen, jeder hatte mit sich und seinen Arbeiten zu tun.
11.
    Sie blieb eine halbe Stunde im Papierwarenladen, um sich aufzuwärmen, und schaute sich alles an, bis die Verkäuferin sie verjagte. An der Glasscheibe des Cafés drücktesie sich die Nase platt, um die Gäste zu betrachten und zu sehen, was sie sich bestellt hatten. Hineinzugehen wagte sie nicht. Eine Kellnerin kam ans Fenster und scheuchte sie mit grimmiger Miene weg. Dann stand sie eine halbe Stunde auf dem Rathausplatz und sah Kindern zu. Die Kinder kannte sie aus der Schule, sie waren zwei Jahre jünger als sie, und darum wagte sie es nicht, sie zu fragen, ob sie mitspielen dürfe. Es erschien ihr unpassend.
    Sie betrat den Spielzeugladen hinter dem Rathaus.
    »Was willst du?«, fragte der Besitzer, ein älterer Mann, sie mürrisch.
    »Ich brauche ein neues Kleid für meine Puppe«, sagte sie und hielt ihre Puppe hoch.
    »Spielst du denn noch mit Puppen?«
    »Ja. Ich meine: nein«, stotterte sie und wurde ganz rot. »Es ist die Puppe meiner kleinen Schwester.«
    »Für deine kleine Schwester, ach so. Aber eben hast du noch gesagt, es sei deine Puppe. Hast du überhaupt Geld mit? Wie viel Geld hast du?«
    »Zwei Mark. Zwei Mark und dreißig Pfennige.«
    »Dafür gibt’s kein Kleid. Das billigste kostet sechsdreißig.«
    »Darf ich mir die Kleider anschauen?«
    »Anschauen kostet einen Groschen.«
    Paula blickte den Mann entsetzt an.
    »Das war ein Scherz, Kleine. Aber fass nichts an. Ich will sie schließlich noch verkaufen, und wenn jede Göre sie angrapscht, kann ich sie wegschmeißen.«
    Sie ging die Regalreihen entlang zu den Puppenkleidern, die auf einem winzigen Kleiderständer hingen. Sie suchte sich ein Ballkleid heraus und hielt die Puppe vorsichtig neben das Kleid. Dann schaute sie auf den Preis. Das Puppenkleid kostete zwölf Mark und zwanzig

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