Frau Paula Trousseau
schlimm.«
»Es ist eklig im Keller.«
»Stell dich nicht so an. Spinnen fressen keine Menschen und Mäuse auch nicht. Spinnen und Mäuse haben genauso viel Schiss wie Paula.«
»Ich sterbe da unten.«
»Ach, Paula! Irgendwann musst du den Kellerdienst übernehmen. Spätestens, wenn ich aus dem Haus bin.«
»Willst du ausziehen?«
»So schnell wie möglich. Spätestens mit achtzehn. AlsFrau kann man sogar schon mit sechzehn heiraten. Habe ich jedenfalls gehört.«
»Willst du heiraten? Wen denn?«
»Das ist mir scheißegal. Ich würde jeden nehmen, um hier wegzukommen. Dieser bescheuerte Clemens, dazu eine besoffene Mutter und als Krönung unser Alter! Wer da nicht wegwill, der gehört zu dem Verein.«
»Können wir nicht zusammen weggehen?«
»Wie stellst du dir das vor? Du bist zwei Jahre jünger. Du kämst sofort in den Jugendwerkhof. Und das soll kein Zuckerschlecken sein.«
Cornelia setzte sich an den Schreibtisch. Ihre Schwester saß auf dem Bett und sah zu ihr.
»Ich will auch weg«, sagte sie, »vielleicht könnte ich zu Tante Gertrude ziehen.«
»Das würde Vater nie erlauben, das weißt du genau.«
»Oder zu den Großeltern.«
»Zu den Großeltern? Dort stinkt alles nach Krankheit und Pisse. Nee, das wäre nichts für mich. Und Vater erlaubt es sowieso nicht.«
»Oder ich gehe …«, begann Paula nach einer Pause, aber sie wusste nicht, was sie weiter sagen sollte.
Die Küchentür war zu hören, jemand ging über den Flur. Die beiden Mädchen standen auf, liefen zur Tür und drückten die Gesichter an den Riss im Holz.
»Sie geht ins Bett«, flüsterte Cornelia, »jetzt könnte ich abhauen und keiner würde es merken.«
»Bitte, Cornelia.«
»Fang bloß nicht an zu flennen, ich bleibe ja. Komm, wir gehen in die Küche und machen uns Abendbrot. Wollen wir uns eine Stulle braten? Mit Zucker?«
Die Mädchen öffneten die Tür und gingen auf Zehenspitzen in die Küche.
12.
An der Ausstellung im Marstall nahm ich mit dem Waldbild teil, für das sich Waldschmidt entschieden und das er angemeldet hatte. Er sagte mir, wenn ich ausstellen dürfe, so verdanke ich das ausschließlich der Tatsache, dass außer ihm und Oltenhoff kein Lehrer mein weißes Bild zu Gesicht bekommen habe, denn dann hätte auch er nichts mehr für mich tun können. Ich war bei der Ausstellungseröffnung dabei und ging später noch zweimal durch die Räume, aber ich war weder stolz noch zufrieden. Das Waldstück, das dort hing, war für mich lediglich eine Vorarbeit zu meinem weißen Bild, für mich hatte diese Landschaft nur den Rang einer Skizze, es war ein Versuch, der nach dem weißen Bild für mich keine Bedeutung mehr hatte. In keiner der zu der Ausstellung erschienenen Kritiken wurden ich und mein Bild erwähnt, mir war es recht, denn dieses Bild taugte nichts. Bei der Eröffnung wartete ich nur die beiden Reden ab und verließ dann unauffällig den Marstall. Bei dem Gedanken, dass ich dort mit dem weißen Bild hätte hängen können statt mit der seelenlosen Waldlichtung, wurde mir schlecht, ich fürchtete, mich übergeben zu müssen.
Nur für meine Kommilitonen stellte die Tatsache, dass ich in der Ausstellung vertreten war, ein Ereignis dar, freilich kein erfreuliches. Dass ich weiterhin beneidet und angefeindet wurde, erfuhr ich sehr drastisch ein halbes Jahr später, als auf dem Studentenfasching ein wandgroßes Porträt von mir auftauchte. Es hing im dritten Stock, im Durchgang zu den Räumen der Keramik. Bei der Abnahme, einen Tag vor Faschingsbeginn, hatte man es wohl übersehen oder es war erst nach dem Rundgang aufgehängt worden. Auf einem zwei Meter langen Stück Packpapier war eine Frau en profil gemalt, die unzweifelhaftmich darstellen sollte. Mit Kreide und Wasserfarben war das Bild rasch hingeworfen worden, nur das Gesicht war sorgfältig ausgeführt, um die Ähnlichkeit mit mir zu zeigen. Die Person auf dem Papier hatte ihr Brüste entblößt und bot sie mit einer einladenden Handbewegung den Betrachtern an, der Hintern wurde kaum bedeckt von einem kurzen Stück Stoff, und sie streckte ihn dem Publikum in einer so merkwürdigen und anatomisch unmöglichen Stellung entgegen, dass ihre Schambehaarung übermäßig deutlich zu sehen war. An dem unteren Rand des Bildes waren zwei Köpfe erkennbar, die in Art und Ausführung an Raffaelsche Engel erinnern sollten, zwei Männerköpfe, deren Identität nicht eindeutig war und die zu der Frau emporstarrten oder vielmehr zu ihrem Hintern und ihrem
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