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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ist dasunangenehm, für dich wie für mich. Ich kann dir nur raten, bleib souverän, bleibe Königin. Lächle, Mädchen, und wenn es sein muss mit zusammengebissenen Zähnen. Es wird nicht die letzte Kränkung in deinem Leben sein. Wenn du Kunst machst, brauchst du einen guten Magen für die vielen Kröten, die du zu schlucken hast. Und wenn du Erfolg haben solltest, dann hast du alle gegen dich. Das ist der Preis, den du zahlen musst. Wenn dir der Preis zu hoch ist, dann arbeite im Büro. Und diese Karikatur, nimm sie nicht so wichtig. Da wollte dir nur jemand mitteilen, wie sehr er dich beneidet. So, und nun fahre ich zu Oltenhoff. Wir haben nämlich ein kleines Problem, ein kleines großes Problem. Bertholdt kommt nicht mehr zurück. Er ist in Bayern geblieben. Für immer.«
    »Max Bertholdt?«
    »Ja. Hat eine Ausstellung in München genutzt, um sich abzusetzen.«
    »Aber war der nicht in der Partei?«
    »Ja, natürlich. Und wir dürfen seinetwegen eine zusätzliche Versammlung abhalten, um ihn auszuschließen. Aber ich denke, er wird nichts dagegen haben. Und was er uns alles mit seiner Flucht eingebrockt hat, wird ihn wohl auch nicht kümmern. Die nächsten Reisen jedenfalls können wir wohl alle vergessen.«
    Waldschmidt trank seinen Kaffee aus, stand auf, nickte mir zum Abschied zu und verließ das Haus.
    Max Bertholdt war der jüngste unserer drei Professoren für Grafik und Schriftgestaltung, er war Anfang vierzig, dreimal geschieden und bei den Studenten für seinen langen schwarzen Seidenschal berühmt und vor allem durch seine Fliegen. Er musste eine Sammlung von mindestens hundert dieser bunten Schleifen besitzen, denn jedes Mal, wenn er in der Schule auftauchte, hatte er eine andere Fliege um den Hals. Er war beliebt bei den Studenten,wenn er sich auch selten in der Hochschule blicken ließ, er gehörte zu den Professoren, die sich vor allem mit ihren eigenen Arbeiten beschäftigten und davon ausgingen, dass es für die Schule und die Studenten eine Ehre sein musste, wenn sie sich herabließen, gelegentlich dort aufzutauchen, um ihre Weisheiten zu verkünden. Es kam vor, dass er sich wochenlang nicht sehen ließ, doch wenn er erschien, hielt er sich den ganzen Tag in unseren Arbeitsräumen auf, ging von einem Studenten zum anderen, hatte für jeden Zeit, und wir alle schätzten seine Ratschläge und Hinweise. Seine Sekretärin musste ihm mit ihrem gesamten Papierkram hinterherlaufen und warten, bis er auf ein Papier mit einer Nachricht schaute oder einen Brief unterschrieb. Er lehnte es ab, in einem Büro zu sitzen, und es gab sogar das Gerücht, er habe sein Büro noch nie betreten und wisse nicht einmal, wo es sich befände.
    Die Nachricht, dass Bertholdt abgehauen war, würde alle an der Hochschule überraschen, denn obwohl er bei den Studenten beliebt war und sich uns gegenüber aufgeschlossen zeigte, galt er politisch als unnachgiebig. Wir hatten erfahren, sein Vater sei in einem Konzentrationslager der Nazis vergast worden, und vermuteten, er sei deshalb so unerbittlich. Irgendwie respektierten wir seine Haltung, obgleich sie uns weltfremd und überlebt erschien, doch seine Geschichte oder vielmehr das Schicksal seines Vaters schüchterte uns ein. Und nun war dieser aufrechte Antifaschist und treue Staatsbürger im Westen geblieben. An der Schule würde man wochenlang darüber reden, offiziell die Flucht verurteilen und im kleinen Kreis oder hinter vorgehaltener Hand sich darüber lustig machen. Weshalb aber Waldschmidt besorgt war, wieso es für ihn ein Problem darstellte, verstand ich nicht. Was konnte er dafür, dass Bertholdt im Westen geblieben war? Gewiss hätte er ein paar Versammlungen mehr, er müssteFragen der Studenten beantworten und möglicherweise im Ministerium erscheinen oder im Magistrat, vielleicht sogar bei der obersten Parteileitung, aber kein Mensch konnte ihn für Bertholdts Entscheidung verantwortlich machen oder sie ihm gar anlasten.
    Im März gab es eine Vollversammlung in der Schule, Tschäkel hielt eine ungewöhnlich scharfe Rede, drei Professoren mussten ein Fehlverhalten einräumen und Selbstkritik üben, weil sie ihrem früheren Kollegen Bertholdt gegenüber nicht wachsam genug gewesen seien, ihn vielmehr blindlings unterstützt und sich für ihn und seine Ausstellung in München, die er für seinen Verrat nutzte, eingesetzt hätten. Die drei hätten sich über die Bedenken und Warnungen eines wachsamen Kollegen hinweggesetzt, der gegen die Münchner Ausstellung von

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