Frau Paula Trousseau
Bertholdt gewichtige politische Bedenken geäußert und diese auch der Bezirksleitung gemeldet habe, Bedenken, die sich im Nachhinein als mehr als angebracht erwiesen hätten. Da jedoch die drei anderen Professoren sich für Bertholdt ausgesprochen hätten, sei die Parteileitung der Schule wie des Bezirks getäuscht worden, so dass schwerer politischer Schaden entstanden sei, wie Tschäkel erregt sagte, der nur durch schonungslose Aufklärung, durch Kritik und Selbstkritik sowie verstärkte Arbeit wiedergutzumachen sei.
Professor Lieblich war es gewesen, der sich gegen Bertholdts Ausstellung ausgesprochen hatte und nun für seinen politischen Weitblick gelobt wurde. Lieblich und Bertholdt waren sich seit Jahren spinnefeind, wie jeder an der Hochschule wusste, sprachen auch vor den Studenten abfällig über die Arbeiten des anderen und machten sich gegenseitig das Leben nach Kräften schwer. Insofern entsprachen Lieblichs Bedenken gegen Bertholdts Münchner Ausstellung seinem üblichen Verhalten und waren nichternst genommen worden, vielmehr waren alle peinlich berührt, als er damals seine neuen Attacken begann, um die Ausstellung zu verhindern. Doch nun konnte er doppelt triumphieren, da seine Fehde mit Bertholdt als eine politische Leistung gewürdigt wurde und er überdies seinen Widersacher für immer los war.
Einer der drei, die sich selbst anzuklagen hatten, war Waldschmidt, und er wurde von Lieblich sogar der Mitwisserschaft beschuldigt. Waldschmidt und Bertholdt hatten sich vier Monate zuvor über eine Arbeit von Lieblich mokiert, ein Fresko im Bahnhofsgebäude Friedrichstraße, auf dem neben einer halbfertigen Mauer Bauarbeiter zu sehen waren, vier Männer in Arbeitskleidung und mit Schutzhelmen, einer von ihnen stand vor der Maueröffnung und sah den Betrachter an, die anderen standen dahinter und schienen sich zu beraten. Die Arbeit war in dem üblichen realistischen Stil ausgeführt, die Maurer strahlten den behördlich gewünschten Optimismus aus, und das Ganze war so einfallslos wie langweilig. Weil die Arbeit in einem Grenzbahnhof hing, hatte Waldschmidt in der Schule das Fresko mit den Worten kommentiert: einer haut ab, die anderen zögern noch. Bertholdt hatte dafür gesorgt, dass diese Bemerkung in der Schule die Runde machte, so dass sie auch Lieblich zu Ohren kam, und nun hatte er die Möglichkeit, sich an Waldschmidt zu rächen und nutzte sie gründlich. Waldschmidt wollte alles mit einer entschuldigenden Geste rasch erledigen, doch Lieblich ließ es sich nicht nehmen, ihn mit wiederholten Nachfragen zu einem umfänglichen Schuld- und Reuebekenntnis zu nötigen, das allen unangenehm war. Schließlich bekam Waldschmidt eine Parteistrafe auferlegt und musste von seinem Amt als Prorektor zurücktreten.
Waldschmidt war in diesen Monaten voller Selbstmitleid. Er spielte mit dem Gedanken, die Professuraufzugeben und nur noch als freier Maler zu arbeiten, aber ich wusste, dass auch dies nur eine wehleidige Klage war. Er war gar nicht dazu in der Lage, sein Lehramt an den Nagel zu hängen, das konnte er sich weder materiell leisten, noch hätte er den Bedeutungsverlust ertragen, der für ihn mit der Aufgabe seiner Professur verbunden gewesen wäre. Seine Larmoyanz war schwer erträglich. Er wirkte jetzt auf mich wie ein uralter Waschlappen. Nichts von dem, was mich einmal angezogen hatte, war noch vorhanden oder erkennbar, und das sagte ich ihm auch, woraufhin er mich als Egoistin und kaltschnäuzige Karrieristin bezeichnete, die aus purer Berechnung mit ihm zusammengezogen sei und ihn in dem Augenblick fallenlasse, wo er ihr nicht mehr nützlich sein könne. Nach diesem Auftritt sprachen wir zwei Wochen kein Wort miteinander, nicht ein einziges. Wir wohnten gemeinsam in einem Haus, in seiner Villa, aber das und die gelegentlichen Mahlzeiten, die wir zusammen schweigsam einnahmen, waren die einzigen Gemeinsamkeiten, auch bei den Gesellschaften vermieden wir es, miteinander zu sprechen. Ich hatte monatelang nicht mehr mit ihm geschlafen, was er scheinbar akzeptierte. Nur wenn er betrunken war, fing er an, mich zu belästigen, und beschimpfte mich abwechselnd als frigid oder als Nutte. Wenn er sich nicht beruhigte und gewalttätig zu werden drohte, schloss ich mich in meinem Atelier ein.
13.
Trotz der Prüfungen nahm ich das ganze letzte Studienjahr hindurch Klavierstunden bei Marion Niebert. Sie kam zweimal in der Woche, und obwohl ich nicht mehr die Zeit besaß, um zu üben, machte ich gute
Weitere Kostenlose Bücher